„Arche-Noah-Post“ am 25.4.2020

von und mit Wolf-Eckart Dietrich, Kirchenmusiker, Ev. Luth. Kirchengemeinde Herford-Mitte

OSTERN – AN DER SCHWELLE

„…es war ein wunderlicher Krieg…“
Zwei Urgesteinen unseres vielfältigen Osterliedschatzes dürfen wir jedes Jahr aufs Neue als Geschwisterpaar begegnen:

Der Bruder: CHRIST IST ERSTANDEN, im großen Flashmob am 1. Ostertag erklang es eindrucksvoll aus den Kirchportalen, von Fenstern und Balkonen. Die unfassbare Gegenwart der lebendigen Auferstehung wird proklamiert, gepriesen, verkündigt, und in die Zukunft hineingesungen. Text und Musik dieses Chorals EG 99 gehen weit zurück bis ins 12. Jhdt.

Die dazu gehörige Schwester: CHRIST LAG IN TODESBANDEN in EG 101 mag uns heute beschäftigen, sie holt weiter aus, fordert die/den SängerIn mehr, dringt tiefer ein in die Krise zwischen Karfreitag und dem Ostermorgen.
Und sie schaut zurück, läßt an Ostern den Karfreitag wiederkehren, und all die vielfachen, unerträglichen und doch ertragenen Schattierungen, alles Verzweifeln und Ringen zwischen der „dritten Stunde“ auf Golgatha, und dem Aufatmen an dem vom Grab gewälzten Stein.
Es ist eine unwägbare Zeitspanne der Grabesruhe, die die Jünger Jesu in Trauer und Einsamkeit stürzt, bis sie der Ankündigungen des Trösters, und der Wiederkunft zu gedenken beginnen können.

Wann wendet sich das Blatt vom Verzagen zum Hoffen?
Dieser österliche Schwesterchoral EG 101 gerät uns in diesem Jahr vielleicht aktueller und brisanter als je zuvor. Er führt uns aus dem tiefen Tal hindurch zum himmlischen Mahl des Osterfestes. Er blickt janusköpfig in beide Richtungen und befindet sich unmittelbar an der Schwelle zwischen dem Alten und dem Neuen. Er blickt dem Tod ins Auge, ringt mit ihm, greift weit über den Tod hinaus, um schließlich jede Strophe mit dem ‚Halleluja‘ zu krönen und Auferstehung zu feiern, sieben mal.

In sieben Strophen – 7 als biblische Zahl der Vollkommenheit, als Rückbesinnung auf die Erschaffung der Welt – und in für unsere Ohren überaus ‚wunderlichen‘ Worten und archetypisch-biblischen Bildern bindet Martin Luther hier die Essenz des christlichen Glaubens zusammen. Die Verwurzelung im Alten Testament „…des Blut zeichnet unsre Tür..“ (2. Mose 12, 7) steht tief im inneren Kern des Liedes, mitten in der fünften Strophe. Beim Hineinsehen in die tieferen Schichten finden wir Bilder und Symbole die dem Advent zugeordnet werden können „…der Sünden Nacht ist vergangen..“ (Str. 6), aus Weihnachten „…Jesus Christus Gottes Sohn, an unser Statt ist kommen..“ (Str. 3), dann ein zutiefst epiphanisches Bild „…Er ist selber die Sonne, der durch seiner Gnaden Glanz erleucht‘ unsre Herzen ganz.“ (Str. 6).

In Fülle begegnen uns Bilder aus dem Passionsgeschehen, und schließlich der steinige Weg hinein das Osterlicht: „…Es war ein wunderlich Krieg, da Tod und Leben rungen, das Leben behielt den Sieg, es hat den Tod verschlungen…“ (Str. 4).

Ostern „mit Freuden zart“, gesungene Auferstehung „Auf auf mein Herz mit Freuden“ und das jubelnde „Wir wollen alle fröhlich sein.“ Natürlich. Unbeschwerte österliche Freude und Überschwang stehen im Vordergrund. Aber auch der Schatten von Ostern hat Gewicht, auch die noch im Verborgenen liegende Freude sei beleuchtet, ganz besonders in diesem Jahr.

„Christ lag in Todesbanden“, ein sperriges, ja ein widerborstig verwirrendes Lied, der Text macht vor keinem Abgrund halt, weicht niemals aus sondern konfrontiert schonungslos, um doch in jeder Strophe auch zu versöhnen, Frieden zu stiften, zu integrieren und zu jubeln mit einem reformatorisch dem Tod trotzenden HALLELUJA: „Tod, wo ist dein Stachel?“ (Str. 3 / 1. Kor. 15, 55)
VICTIMAE PASCHALE LAUDES Aus dieser mittelalterlichen Sequenz, sowie aus Text und Musik des Bruderchorals EG 99, und aus vielfältiger, überwiegend paulinischer Bibelsubstanz formt Martin Luther, beinahe collage-artig um 1524 dieses wunderbare Lied.
Möge dieses Lied gerade jetzt weit an Aktualität gewinnen!

Hören wir dazu aus der Jakobi-Kirche zunächst eine kurze, kammermusikalisch instrumentierte Choralmeditation, die in 59 Takten und vier klar geführten Stimmen eine erstaunliche Dichte an Substanz verarbeitet, dann eine 2. Strophe für die volle Orgel, das „Organo Pleno“.
Ambivalenz steht im Vordergrund, die Ernsthaftigkeit der dorischen, unserem heutigen ‚Moll‘ nahe verwandten Tonart. Ein Osterlied im Nebeneinander von Tod und Leben.

Einspielung 1

Die Choralmelodie in der Oberstimme der 1. Einspielung steigt sehr klar ein in langen, kaum verzierten Noten, und von Zeile zu Zeile belebt sich hörbar das musikalische Geschehen, vitalisiert und erleichtert sich, findet klare Dur-Akkorde als Etappenziele. Öfters gewinnen wir den Eindruck die Freude über das neu errungene Leben habe die Oberhand gewonnen, die Bande des Todes seien gesprengt, der Stein vom Grab gerollt.
Und dann trifft erneut und zuweilen unvermittelt eine Moll-Farbe in die Dur-Kadenz hinein, und im nächsten Augenblick greifen sie wieder, die Bande des Todes, gezogene und lange auf Auflösung wartende Dissonanzen. Wer sich da hineinvertiefen mag hört deutlich die Nähe zwischen Text und Musik.
Ganz zum Schluss dieses Orgelwerkes, da erhebt sich ein ungebrochener Jubel bis in höchste Höhen. „…und singen Halleluja..“.

Einspielung 2

Die in der 2. Einspielung erklingende Strophe tritt schon sehr viel resoluter auf, und mag für sich sprechen. Die Melodie führt sich in klaren, großen Notenwerten in der Baßstimme des Pedals ein, die Orgel von Jakobi erklingt mit voller Kraft bis in die Klangkrone hinein.
In der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen wirkte im 17. Jahrhundert, kaum 100 Jahre nach Luther, der in Amsterdam ausgebildete Komponist dieser Choralfantasie, Heinrich Scheidemann. Er kann als das organistische Gegenüber zu seinem ein Stück weit wesensverwandten Zeitgenossen und großen Vokalkomponisten Heinrich Schütz gelten. Scheidemann gehört zu den bedeutendsten Vertretern der Norddeutschen Orgelkunst, die sich an dieser Stelle vor allem dadurch auszeichnet, die Strenge und manchmal Nüchternheit der Orgelmusik der Renaissance abzulegen, und mit einer gewissen rhetorischen Freiheit, Eleganz und Lebendigkeit individuelle Solostimmen in Form von verzierten (‚kolorierten‘) Choralmelodien hervorzubringen. Gleichwohl gehört auch das groß angelegte, orchestrale „Organo Pleno“ zu den Stärken des Komponisten.

Wolf-Eckart Dietrich spielt in einer Liveaufnahme am 21. April an der Orgel der St. Jakobi Kirche in Herford.