Mag Gott unsere Gottesdienste?
Es war einmal eine Gemeinde, die feierte gerne Gottesdienst. In einem prachtvollen Haus kam sie zusammen. Groß war es und verschwenderisch ausgestattet. An kostbarsten Materialien hatte man an keiner Ecke gespart, so dass alles nur so vor Gold funkelte. Ausschließlich die berühmtesten Künstler und besten Handwerker hatten mitarbeiten dürfen.
Genauso waren auch die Gottesdienste dieser Gemeinde. Die größten Kerzen brannten. Wunderbare Blumen zierten den Raum. Wohlklingende Musik ertönte, von den besten Musikern des Landes auf teuersten Instrumenten hervorgebracht. Ein berühmter Chor sang geistliche Lieder. Und der Geistliche trug kostbar bestickte Gewänder.
Im Alltag arbeiteten die Damen und Herren dieser Gemeinde hart für ihren Unterhalt und um ihren Wohlstand zu mehren. Sie lebten nach den üblichen Regeln und Gesetzen, aber die Sicherung und Mehrung des persönlichen Reichtums war ihnen das Wichtigste. Dafür wurden dann die Gesetzeslücken und Grauzonen eifrig ausgenutzt.
Und so kam es, dass einige die dieses Spiel der Ellbogen nicht so gut beherrschten, ausgenutzt wurden und auf der Strecke blieben. Soziale Aufgaben wurden an den Rand gedrängt. So war das Leben in dieser Gemeinde im Alltag durch Rücksichtslosigkeit geprägt.
Eines Tages nun hatte sich diese Gemeinde wieder in ihrem Gotteshaus versammelt, um einen herrlichen Gottesdienst zu feiern. Gerade als der Geistliche in seiner Predigt der Gemeinde sagte, dass Gott diese Gemeinde und ihren Reichtum besonders möge, sprang in der letzten Reihe ein Mann auf. Amos hieß er. Aufgeregt fuchtelte er mit den Armen. Mit kreischender Stimme schrie er, was wir im 5. Kapitel des Buches Amos lesen.
„Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen – es sei denn, ihr bringt mir rechte Brandopfer dar –, und an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen, und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an. Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. Habt ihr vom Hause Israel mir in der Wüste die vierzig Jahre lang Schlachtopfer und Speisopfer geopfert?“ (Amos 5,21-24)
Die Gemeinde war entsetzt. Hatte ihr Geistlicher nicht gerade das Gegenteil verkündet. Und nun trat dieser Fremde auf und behauptete im Namen Gottes zu reden. Und doch war da etwas, so dass Amos Gehör fand.
Noch mehr war die Gemeinde entsetzt über den Inhalt: Gott hasste ihre schönen Versammlungen und Gottesdienste? Er selbst hatte diese Gottesdienste geboten. Und nun hasste er die schönste Vollendung des Gottesdienstes?
Wir stehen als Zuschauer etwas abseits und meinen: „Ja, so ist es richtig. Eure Gottesdienste waren verlogen, denn euer Alltag und eure Gottesdienste klafften weit auseinander.“
Wie weit können wir aber abseits stehen? Sicher, nicht in jedem Gottesdienst haben wir Chor und Orchester. Unsere Orgel ist, bei aller Pracht, nicht das größte und teuerste Instrument des Landes. Unser Gesang ist nicht immer schön oder inbrünstig. Und unsere Kirchen sind nicht die kostbarsten Gebäude.
Stehen wir aber schon abseits, bloß weil wir weniger vollendet Gottesdienst feiern? Wie steht es denn mit unserem Alltag im Verhältnis zum Gottesdienst?
Erinnern wir uns an viele Wege durch unsere Stadt. Rücksichtslosigkeit und Brutalität nehmen im Straßenverkehr immer mehr zu. Erinnern wir uns an die Konkurrenz zwischen Nachbarn und Kollegen. Erinnern wir uns an unseren eigenen Egoismus. Wir finden immer tausend Gründe, wenn sie auch oft fadenscheinig sind, warum gerade wir an dieser Stelle nicht sparen und verzichten müssen oder können. Arbeit wollen wir wohl abgeben, aber auf Lohn zu verzichten, fällt äußerst schwer. Jede Sozialleistung wollen wir haben, aber kosten darf das nichts. Der Staat soll alles zahlen, aber bitte auch die Steuern senken, zumindest meine.
Nun, ich meine, dass auch bei uns oft das Recht des Stärkeren regiert. Auch wir leben an vielen Punkten unsozial. Auch bei uns erscheint eine Kluft zwischen Gottesdiensten und Alltag. Es wird eine Linie gezogen zwischen dem heilen Christentum und der harten Wirklichkeit.
Aber diese Grenze ist falsch. Sie darf und kann es nicht geben. Wer sonntags in die Kirche geht und dort seinen Glauben bekennt, der darf ihn alltags in der Welt und vor der Welt nicht verheimlichen. Wer sonntags in der Kirche betet, darf nicht im Alltag diesem Gebet zuwiderhandeln. Wer sonntags für andere Menschen betet, muss alltags für sie handeln. Unser ganzes Leben soll zu einem andauernden Gottesdienst werden. Wenn wir unser Beten als Handeln fortsetzen und unser Handeln mit Gebeten begleiten, dann gibt es keine Kluft mehr zwischen Gottesdienst und Alltag.
Ich wünsche Ihnen gesegnete Gottesdienste in der Kirche und im Alltag!
Ihr Pfarrer Johannes Beer