An(ge)dacht zum Sonntag Septuagesimae (5.2.2023)

Liebe Gemeinde,
„Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ (Joh 14,1)

Diese Worte richtet Jesus im Johannesevangelium an seine Jünger, als er sich vor Beginn seines Leidensweges von ihnen verabschiedet. „Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich!“ Ja, und dabei gäbe es wirklich viel, vor dem unser Herz – gerade in diesen Zeiten und angesichts der Nachrichten aus aller Welt – erschrecken könnte. Da gibt es viel, viel zu viel, was uns Angst machen könnte. Auch Jesus weiß das: „In der Welt habt ihr Angst, …“ – das ist wohl so.
Aber Jesus geht nicht fort, ohne seinen Jüngern etwas gegen die Angst zu hinterlassen, etwas, das sie dem realen Schrecken ebenso wirksam entgegensetzen können: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.“ (Joh 14,27)
Der Friede Christi als Wirkmittel gegen die Angst? Der Friede Christi als Anker, als Halt in einer friedlosen Welt?
„Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, zu unsern Zeiten. Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott, alleine.“ (Evangelisches Gesangbuch Nr. 421)
Die Bitte um Frieden wandert nahtlos durch die Jahrhunderte. Sie war und ist immer aktuell – leider. Martin Luther hat das Lied „Verleih uns Frieden gnädiglich“ im Jahr 1529 gedichtet. Zu dieser Zeit tobte im Deutschen Reich der Bauernkrieg.
Dabei ist der Frieden ein seltsames Gewächs. Die Sehnsucht danach ist so groß. Und doch liegt so viel Unfrieden im Kleinen wie im Großen in der Welt. Umso wichtiger ist die Bitte um Frieden, die nie enden darf. Luthers Lied ist so eine Bitte. Es wird gesungen in der Nähe und in der Ferne. In unzähligen Sprachen. Am Ende von Gottesdiensten, bei Friedensgebeten zum Läuten der Glocken. Das ist gut, das brauchen wir. Für uns selbst, und für die Welt. Ein Gebet für den Frieden.
Wie geht Friede? Nach heutigem Verständnis hätte man sich bis vor kurzem eher noch gewundert, im Zusammenhang mit Frieden das Wort „streiten“ zu hören, wie Luther es verwendet hat. Aber es ist so: Wir müssen gegenwärtig deutlich machen, vermutlich wieder deutlicher als bislang, für welche Werte wir stehen. Wir müssen deutlich machen und sagen, was uns unsere Demokratie, was uns der Frieden wert ist. Gebe Gott, dass wir uns in der Frage, ob das nur mit oder ohne Waffen zu erreichen ist, richtig entscheiden und bewahre er uns und alle Welt vor einer weiteren Eskalation des Konflikts! Denn über allem muss doch gelten: „Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott, alleine.“
Dass unsere alte Welt, so wie wir sie kannten, plötzlich abgeschafft werden könnte, das hat sich bislang niemand vorstellen können. Ebenso wenig wie das Schreckenszenario eines neuen Atomkrieges. Waren wir nicht schon einmal weiter?, hat kürzlich jemand gefragt. „Selig sind, die Frieden stiften …“ (Mt 5,9). Frieden wird umso wichtiger, je mehr sich zusammenbraut. Das war für Luther nicht anders als für uns heute.
Ungebrochen über die Jahrhunderte klingt daher die Melodie, die er zu diesem Lied geschaffen hat. Eine Melodie, in der Ernsthaftigkeit mitschwingt. Und Nachdruck. Die ersten Noten zu „Verleih uns Frieden“, sind einem Fanfarenstoß nachempfunden. Als wollte die Melodie einen aufrütteln, als wollte sie einen wachrufen: Das ist etwas Wichtiges, um das es hier geht. Nimm es nicht auf die leichte Schulter. Mach es zu deiner Sache. Stehe dafür ein und bete darum!
Luther wendet sich bei diesem Aufruf, bei dieser Bitte um Frieden nicht an das eine oder andere Lager, an die eine oder andere Konfliktpartei. Da ist weder Anklage noch Selbstverteidigung. Einer allein ist ihm wichtig. „Es ist doch ja kein andrer nicht, der für uns könnte streiten, denn du, unser Gott, alleine.“
Für Frieden muss man eintreten. Ja. Aber vor allem muss man darum immer wieder bitten. Friede, echter Friede, so hören wir in Jesu Worten und in Luthers Lied, ist ein Geschenk. Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Ein solcher Friede ist nicht einfach nur die Abwesenheit von Krieg, sondern die Anwesenheit Gottes bei den Menschen seines Wohlgefallens. Gott antwortet auf den Unfrieden der Welt mit seinem Frieden. Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit sich selbst und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung. (2 Kor 5,19) Ein solcher Friede ist Gnade. Darum singen wir ja auch: Verleih uns Frieden gnädiglich, Herr Gott, auch zu unsern Zeiten.
Amen.

Ihre Pfrn. Dr. Gabi Kern

Bildquelle: N. Schwarz © GemeindebriefDruckerei.de