An(ge)dacht am letzten Sonntag nach Epiphanias, 29.1.2023

»Ich werde mit dir sein« ist mein Name. (2. Mose 3,12 und 14)

Liebe Leserin und lieber Leser,
an diesem Sonntag endet die Epiphaniaszeit, die Zeit der Erscheinung. Meistens wird sie auf Christi Erscheinen in der Welt bezogen wird. Allerdings gibt es auch im Alten Testament zahlreiche Epiphaniegeschichten mit mythologischen Elementen, in denen Gott in Erscheinung tritt. Eine von ihnen ist der berühmte brennende Dornbusch, durch den Gott sich dem Mose offenbart.

1 Mose hütete die Schafe Jitros, seines Schwiegervaters, des Priesters in Midian, und trieb sie über die Steppe hinaus und kam an den Berg Gottes, den Horeb.

2 Und der Engel des Herrn erschien ihm in einer feurigen Flamme aus dem Dornbusch. Und er sah, dass der Busch im Feuer brannte und doch nicht verzehrt wurde.

3 Da sprach er: Ich will hingehen und die wundersame Erscheinung ansehen, warum der Busch nicht verbrennt.

4 Aber Gott rief ihn aus dem Busch und sprach: Mose, Mose! Er antwortete: Hier bin ich.

5 Gott sprach: Tritt nicht herzu, zieh deineSchuhe von deinen Füßen; denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliges Land!

6 Und er sprach weiter: Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs. Und Mose verhüllte sein Angesicht; denn er fürchtete sich, Gott anzuschauen.

7 Und der Herr sprach: Ich habe das Elend meines Volks in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre Bedränger gehört; ich habe ihre Leiden erkannt.

8 Und ich bin herniedergekommen, dass ich sie errette aus der Hand der Ägypter und sie herausführe aus diesem Lande in ein gutes und weites Land, in ein Land, darin Milch und Honig fließt. (…)

10 So geh nun hin, ich will dich zum Pharao senden, damit du mein Volk, die Israeliten, aus Ägypten führst.

11 Mose sprach zu Gott: Wer bin ich, dass ich zum Pharao gehe und führe die Israeliten aus Ägypten?

12 Er sprach: Ich will mit dir sein. (…) 2. Mose 3,1 ff.:

Was für ein merkwürdiges Phänomen! Sogar durch Feuer ist dieser Dornbusch nicht klein zu kriegen. Mose ist fasziniert. Das muss er sich aus der Nähe ansehen.
„Soll dieser Dornbusch etwa ein Sinnbild für mein Leben sein?“ mag er sich gefragt haben: Denn
manches Gestrüpp, manche Dornen und Disteln auf seinem Lebensweg sind so hartnäckig und
widerspenstig, dass sie weiter brennen und er sie nicht loswird. Ebenso wie es dieses Feuer beim
Dornbusch nicht vermag. Plötzlich hört Mose jemanden seinen Namen rufen. Die Stimme Gottes! Kein Mensch kann Gott von Angesicht zu Angesicht sehen (2. Mose 33,23), kein Mensch soll sich ein Bildnis von Gott machen (2. Gebot) – aber hören können sie aufeinander. Durch die Stimme aus dem Feuer bekommt Mose etwas von Gott zu „sehen“.
„Komm nicht näher!“ spricht die Stimme weiter. Mose soll seine Schuhe ausziehen. Gott hält ihn auf gehöriger Distanz.* In einer unerlösten Welt scheint diese Distanz auf Hör-Weite nötig zu sein für eine Gottesbegegnung. Offenbar ist eine solche Begegnung nur so erträglich und verträglich.
Was will Gott von ihm? In diesem Augenblick mag Mose seine Vergangenheit eingeholt haben. Will
Gott ihn jetzt zur Rechenschaft ziehen wegen der Sache mit dem Ägypter damals? Als er fliehen
musste, nachdem er am Hof des Pharao einen ägyptischen Aufseher erschlug, der einen Hebräer
misshandelt hatte. Nachdem er ihn heimlich in der Erde verscharrte in der Hoffnung, damit sei der
Vorfall begraben. Aber jemand beobachtete, wie er den toten Ägypter begrub und setzte ihn damit
unter Druck. (2. Mose 2,11 ff.) Mose hätte eine glänzende Karriere vor sich gehabt, wenn er sich nicht das Leid seines Landsmanns zu Herzen genommen und einfach weggeschaut hätte. Doch an Karriere ist nicht mehr zu denken, als er ins benachbarte Land Midian flieht. Hier hatte er das Glück eine Frau zu finden, in deren Familie er aufgenommen wurde und seitdem die Schafe seines Schwiegervaters hütet.
Und nun diese wundersame Erscheinung im Feuer: Vielleicht kommt dem Mose dadurch seine
Vergangenheit wieder vor Augen, sein schlechtes Gewissen. Seine Schuld, seine Versuche, diese
unangenehme Sache zu vergessen. Die aber trotzdem noch tief in ihm nagt und wie ein Feuer brennt, wenn er nur daran denkt. (vgl. Ps 39,4b) So etwas vergisst die menschliche Seele nicht.
Die Stimme gibt sich zu erkennen: „Ich bin der Gott deines Vaters, der Gott Abrahams, Isaaks und
Jakobs. (…) Ich habe das Elend meines Volkes in Ägypten gesehen und ihr Geschrei über ihre
Bedränger gehört. Ich habe ihre Leiden erkannt und bin herniedergefahren, dass ich sie errette aus der Ägypter Hand und sie herausführe in ein Land, in dem Milch und Honig fließen.“
Gott lässt sich hörbar sehen! Denn er hat ein Auge und Ohr für die Not seines Volkes. Die Schmerzen der unterdrückten Hebräer und Hebräerinnen lassen ihn nicht kalt. Im Mitleid und vom Zorn über die Ägypter entflammt kommt er ihnen zu Hilfe. Wo Menschen gequält werden, da ist Gott mit Feuer und Flamme auf ihrer Seite.
Doch zugleich bleibt er auch auf Distanz: In Mitleidenschaft entbrannt lässt er sich von seiner
Sympathie und seinem Parteiischsein für die Leidenden nicht verzehren. Der Dornbusch brennt, ohne zu verbrennen. Bei aller Empfänglichkeit für die Schreie der Gequälten wahrt Gott die für die
Überwindung des Leidens notwendige Distanz.
Das finde ich bemerkenswert in dieser Mosegeschichte, wenn ich sie auf heute übertrage: Wer sich von der Not der Welt auffressen lässt, ist unfähig, ihr zu widerstehen und effektiv etwas zu verändern, sofern es ihm möglich ist. – Empathie und etwas tun sind trotzdem nötig, ja! Für das Gute streiten, sich für Gerechtigkeit einsetzen ist wichtig! Aber sich davon mit Haut und Haaren verzehren zu lassen macht handlungsunfähig. So sagt es das 2. Buch Mose zumindest von Gott: Würde er in seiner brennenden (Mit-) Leidenschaft selbst ein Opfer der Flammen, dann hätte er nichts mehr auszurichten an den Brandstellen und Krisenherden in der Welt.
Am Ende ist es Gott selber, der die Israeliten aus der Hand der Ägypter rettet und sie aus dem Land herausführt. Indem er Mose mit dieser Aufgabe betraut und ihn zu Hilfe nimmt.
Es ist eine Menge Kooperationsbereitschaft und Teamgeist gefragt bei diesem Befreiungsprojekt.
Doch es bleiben noch Fragen, bevor Mose sich in den Dienst nehmen lässt. „Wer bin ich, dass ich zu Pharao gehen und dass ich die Kinder Israels herausführen soll aus Ägypten?“ Was ist, wenn ihm die Aufgabe zu schwer wird? Wenn er sich dem Pharao nicht gewachsen fühlt?
Mose zweifelt, ob er das schafft. Am liebsten hätte er, wenn Gott sich einen anderen sucht. Mose
braucht Klarheit: für sich selbst und über Gott. Er fragt nach sich selbst – „wer bin ich?“ – und
bekommt die überraschende Antwort über ihn, über Gott selbst: nämlich Gottes Versprechen, mit
ihnen zu sein. Heute und alle Zeit. Das gibt Mose Selbstvertrauen für die große Herausforderung. Weil Gott sogar imstande ist, „aus dem Munde der jungen Kinder und Säuglinge eine Macht zu bereiten“ (Psalm 8,3), darum traut er Mose zu, dass auch sein Mund die nötige Überzeugungskraft haben wird.
Wer bin ich? Was ist der Mensch, dass Gott seiner gedenkt? – Die alten biblischen Geschichten
erzählen uns etwas über uns selbst! Sie haben sogar eine therapeutische Wirkung: Wenn ich nahe am Feuer bin und für etwas brenne – aus Leidenschaft, aus Empathie, aus Kummer; wenn ich nahe am Feuer bin, konfrontiert mit meiner Vergangenheit, meinen Fehlern und Versäumnissen, meinen
unerledigten Dingen; und wenn sich dann solche Fragen aufdrängen: Wer bin ich? Was ist der
Mensch, dass Gott seiner gedenkt? – Dann tut es gut, sich für die Antwort aus der Mosegeschichte zu öffnen: Das bin ich, das sind wir, das ist Mose: In Gottes schützender Hand.
Dadurch besteht die Möglichkeit, dass sich auch hartnäckige, unbequeme Dinge verändern. Dass sie sich zum Guten wandeln und meine Wahrnehmung neu wird, ohne mich zu verzehren.
Weil: Gott wird sein, der er sein wird! Sein Name „ICH-werde-da sein“ wird sich bewahrheiten. Sein
Name werde geheiligt! Amen. So soll es sein!


Einen gesegneten Sonntag wünscht Ihnen

Ihr Pfarrer Andreas Smidt-Schellong

  • Den Gedanken, Gottes Stimme in gehöriger Distanz im Dornbusch zu „sehen“ verdanke ich der Theologin Dr. Magdalene L. Frettlöh.