An(ge)dacht zum 12. Sonntag nach Trinitatis am 4.9. 2022

Hauptsache gesund?!

„Hauptsache man bleibt gesund“, betont die alte Dame aus dem Altenheim, wenn ich sie nach dem Gottesdienst mit einem guten Wunsch verabschiede. Und jedes Mal denke ich: „Hauptsache gesund?“ Natürlich ist Gesundheit wichtig, das ist gar keine Frage. Doch gerade im Altenheim erscheint dieser Wunsch absurd. Menschen, die in ein Altenheim ziehen, sind nicht gesund. Entweder sie haben eine körperliche Beeinträchtigung oder eine geistige oder beides. Und doch sagt diese Bewohnerin, die im Rollstuhl sitzt: „Hauptsache man bleibt gesund“. Was will sie mir sagen? „Mir geht es gut!“ das signalisiert sie mir und ich bin erstaunt und beschämt.

„Für Geld kann man sich alles kaufen“, das betont ein anderer Bewohner dieses Altenheims. Und jedes Mal denke ich: „Wenn das so einfach wäre!“ Auch dieser alte Herr ist aus medizinischer Sicht nicht gesund. Aber er ist der festen Überzeugung, wer Geld hat, der kann sich alles leisten, vielleicht sogar Gesundheit. Er selbst hat kein Geld und damit hadert er. Er meint: „Wenn ich Geld hätte, dann ginge es mir besser!“ Es ist vielleicht richtig, dass man sich mit Geld viele Annehmlichkeiten leisten kann. Doch, dass sich ein Mensch wirklich wohl fühlt, dazu braucht es etwas anderes.

Petrus scheint zu wissen, was ein Mensch wirklich braucht. Petrus sprach zu dem Gelähmten: „Sieh uns an! Silber und Gold habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi von Nazareth steh auf und geh umher!“ (Apg 3,4b.6) Ein gelähmter Mann, den Menschen vor die Schöne Pforte des Tempels gesetzt haben, spricht Petrus und Johannes an, die zum Beten in den Tempel wollen. Seit seiner Geburt ist er gelähmt. Er ist auf die Hilfe anderer angewiesen, er kann keinen Beruf ausüben. So haben ihn Menschen vor die Tür gesetzt, damit er sich seinen Lebensunterhalt zusammenbetteln kann. Um die Gebetszeit kommen viele Menschen an ihm vorbei und stecken ihm ein Almosen zu. So spricht er auch Petrus und Johannes an. Die beiden bleiben stehen. Das ist ungewöhnlich, die meisten werfen dem Gelähmten eine Münze hin und laufen schnell an ihm vorbei in den Tempel. Anders die beiden Jünger: Sie bleiben stehen und sehen ihn an. Sie nehmen ihn wahr. Sie sehen genau hin und sie sprechen ihn an. Sie treten in engen Kontakt zu ihm, wie es wohl kaum sonst Menschen an dieser Stelle tun. Sie konzentrieren sich ganz auf ihn. Petrus sagt zu ihm: „Sieh uns an!“ Der Gelähmte soll sich nun seinerseits konzentrieren.

Was löst diese Begegnung bei dem Mann aus? Hier sind Menschen, die ihn ernst nehmen. Sie nehmen ihn als Geschöpf Gottes wahr. Sie hasten nicht vorüber, sie nehmen sich Zeit, sie sprechen mit ihm und sie haben etwas für ihn. Allerdings ist es kein Almosen, was sie ihm geben wollen.

Petrus sagt: „Gold und Silber habe ich nicht; was ich aber habe, das gebe ich dir.“ Petrus hat etwas Größeres als Geld zu verschenken. Er bringt dem Gelähmten Heilung: „Im Namen Jesu Christi steh auf und geh umher!“ Petrus legt den Namen Christi auf den kranken Mann. Es ist wie beim Segnen. Christus selbst handelt. Christus selbst ist mitten unter ihnen und heilt. Der Gelähmte wird gesund. Er kann seine Füße gebrauchen, er springt umher, so heißt es. Und er lobt Gott, denn er hat begriffen, wem er seine Heilung zu verdanken hat.

„Für Geld kann man sich alles kaufen“, sagt der alte Herr im Altenheim. Nein, widerspreche ich ihm. Sicherlich ist Geld wichtig. Aber so etwas Wichtiges wie Gesundheit kann ich mir nicht davon kaufen.

Also: „Hauptsache man bleibt gesund“, wie die alte Dame es immer wieder sagt? Ja, stimme ich ihr zu. Aber wie sieht Gesundheit aus? Nach medizinischen Maßstäben ist die Bewohnerin nicht gesund. Aber sie hat etwas begriffen von der Heilung, die Christus schenkt. Sie ist seelisch heil, sie hat inneren Frieden. Gelassen ruht sie in ihrem Glauben. Sie erlebt, wie Menschen sie wahrnehmen, sich ihr zuwenden und sie zum Gottesdienst bringen. Sie fühlt sich angenommen und aufgenommen. Das ist das Wunder, das sie erfährt und das sie gelassen und hoffnungsvoll leben lässt.

Ich wünsche Ihnen Heilung, wie Christus sie schenkt und eine gesegnete neue Woche!
Ihre Pastorin Annette Beer