An(ge)dacht zum Kantatesonntag am 15. Mai 2022

So zieht nun an als die Auserwählten Gottes, als die Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld; und ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander, wenn jemand Klage hat gegen den andern; wie der Herr euch vergeben hat, so vergebt auch ihr! Über alles aber zieht an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Christi, zu dem ihr berufen seid in einem Leibe, regiere in euren Herzen; und seid dankbar. Lasst das Wort Christi reichlich unter euch wohnen: Lehrt und ermahnt einander in aller Weisheit; mit Psalmen, Lobgesängen und geistlichen Liedern singt Gott dankbar in euren Herzen. Und alles, was ihr tut mit Worten oder mit Werken, das tut alles im Namen des Herrn Jesus und dankt Gott, dem Vater, durch ihn. (Kol 3,12-17)

Missklang oder Wohlklang?

Da gibt es einen Chor, dessen Musik immer irgendwie schrecklich klingt. Man hört, dass es in ihm keine Freude des gemeinsamen Musizierens gibt. Keiner und keine hört wirklich auf die anderen. Jede und jeder musiziert für sich und hält das eigene Singen für das Beste. Die Musizierenden belauern sich gegenseitig, ob irgendein Fehler sich einschleicht. Sie machen einander Vorwürfe und Vorhaltungen. Von gegenseitigem Mobbing und Sabotage ist gar die Rede. Alle klagen unentwegt über die Qualitäten und Bedingungen in diesem Chor. Und all das hört man eben: Es führt zum Missklang.

Da gibt es einen anderen Chor, dessen Musik immer etwas Freudiges und Schönes hat. Auch in diesem Chor ist das Musizieren nicht frei von Fehlern. Das kommt halt vor. Auch hier singen keine perfekten Musikerinnen und Musiker. Wo gibt es die denn schon? Aber alle eint das Ziel, gemeinsam Musik zu machen, gemeinsam mit der Musik etwas auszudrücken. So hören sie aufeinander, stellen sich auf einander ein. Keiner fällt heraus, drängt sich unangemessen vor und rüpelt so andere an den Rand. Das Musizieren der Einzelnen wird eingepasst in das Ganze, so dass die gemeinsame Freude spürbar wird. Und all das hört man eben: Es führt zum Wohlklang.

Das, was wir hier an den sehr unterschiedlichen Chören einmal beobachtet und durchgespielt haben, gibt es in den verschiedensten Musikgruppen. Und gerade an Kantate, wissen wir, wie wohltuend Musik sein kann und wie herrlich gemeinsam gesungenes Lob Gottes ist. Diese beiden unterschiedlichen Chöre sind aber vor allem sehr gute Beispiele, wie es in unseren Gemeinden und in unserer Kirche zugehen kann und immer wieder zugeht. Und ich denke, Ihnen geht es wie mir, ich habe spontan Bilder und Erfahrungen im Kopf und kann konkrete Namen für das eine wie das andere Verhalten nennen.

Der Predigttext des heutigen Sonntags stammt aus dem Kolosserbrief des Paulus. Er freut sich über die Gemeinde in Kolossä und vor allem über deren Glauben. Er warnt vor Irrlehrern und zeigt auf, welche wunderbare Folge es hat, wenn man zu Christus gehört: „So seid ihr nun mit Christus auferstanden.“ (Kol 3,1a) Aber, und das betont Paulus in aller Deutlichkeit, das muss auch Konsequenzen im Leben haben. Das man zu Christus gehört, muss Auswirkungen auf das tägliche Leben und den Umgang miteinander haben. Und genau da setzt unser Text ein.

Und dann werden all die Eigenschaften aufgezählt, die einen Menschen prägen sollen, der zu Christus gehört: Erbarmen, Freundlichkeit, Demut, Sanftmut, Geduld. Und wenn wir ganz ehrlich unsere eigenen Eigenschaften aufzählen, dann weiß ich doch, dass diese Begriffe nicht immer und zu jeder Zeit uneingeschränkt dabei sein können. Auch, wenn wir es wollen, so sind wir nicht immer freundlich und nicht uneingeschränkt sanftmütig. Und ab und zu reißt der Geduldsfaden. Das passiert mir und auch all den anderen Christinnen und Christen. Das kommt halt vor unter den Bedingungen dieser Welt.

Aber zu der Aufzählung dieser christlichen Tugenden gehört auch das Vergeben und die Liebe. Und gerade diese beiden stehen eigentlich über allem, denn es sind die wichtigsten Punkte bei Jesus. Er liebt die Menschen. Er liebt uns heute, auch Dich und mich, auch die Menschen mit Fehlern und auch die Menschen, die Fehler machen. Und er hat uns vergeben. Gott hat uns durch Christus vergeben, was wir an Fehlern haben. Er hat weggenommen, was uns von anderen Menschen und ihm selbst trennt. Und nun will Christus, dass wir uns untereinander so lieben, wie er uns alle liebt, dass wir einander vergeben, wie er uns vergeben hat. Diesen Anspruch an unser Leben als Christinnen und Christen formuliert Paulus hier ganz klar.

Und nun schaue jede und jeder bei sich: In welchem Chor bin ich aktiv? Welche Tugenden und Eigenschaften lasse ich in meinem Leben regieren? Wie gehe ich mit meiner Mitchristin und meinem Mitchristen um? Musizieren wir miteinander oder gegeneinander im großen Chor der Gemeinde Jesu Christi? Gibt es durch uns Missklang oder Wohlklang?

Und wenn wir dann immer wieder aufeinander zugehen, einander vergeben und einander in Liebe annehmen, dann musizieren wir im zweiten gedachten Chor. Wenn wir alles, was wir tun mit Worten oder mit Werken, das alles im Namen des Herrn Jesus Christus tun, dann wächst der Wohlklang in unserer Gemeinde immer weiter an. Dann spüren alle, dass hier mit Freuden und dankbaren Herzen Psalmen Lobgesängen und geistliche Liedern gesungen werden. Singet also zum Lobe Gottes! Kantate!

Einen gesegneten Kantatesonntag voller Wohlklang wünsche ich ihnen!
Ihr Pfarrer Johannes Beer