An(ge)dacht zum 6. Februar 2022

Danket dem Herrn; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.
(Psalm 107,1)

Wir hatten, das kommt ja ab und zu bei uns vor, einen Gast bei unserem Mittagessen an unserem Tisch. Und als ich am Ende der Mahlzeit wie gewohnt das Tischgebet mit den Worten „Dann lasst uns mal danken!“ einleitete, stand unser Gast auf, machte eine höfliche Verbeugung vor meiner Frau und bedankte sich für das leckere Essen, das ihm gut geschmeckt habe. Ich war völlig überrascht und auch perplex und hätte fast laut gelacht.

Natürlich wäre ich nie auf die Idee gekommen, einen Gast aufzufordern, sich bei meiner Frau oder uns zu bedanken. Und natürlich war ich bis dahin nicht auf die Idee gekommen, dass jemand die Worte „Dann lasst uns danken!“ am Ende einer Mahlzeit als etwas anderes, als eine Gebetsaufforderung und Gebetseinleitung verstehen könnte. Aber auf die Idee, dass wir ein Dankgebet nach dem Essen sprechen könnten, wo wir doch schon zum Beginn ein Tischgebet gesprochen hatten, war unser Gast nun wiederum nicht gekommen.

Wir haben dann, nachdem ich erklärt hatte, was ich eigentlich wollte, das bei uns übliche Dankgebet gesprochen: „Danket dem Herrn; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich. Amen.“ Im Anschluss haben wir lange über das Danken an und für sich und besonders über unsere Praxis der Dankgebete gesprochen. Wir waren uns schnell einig, dass wir gerne Gott um etwas bitten, auch schnell klagen, wenn es nicht so läuft, wie wir das uns vorstellen, aber keineswegs genauso schnell mit einem Dankgebet dabei sind. Wir fragen gerne, wenn es uns schlecht geht „Womit habe ich das bloß verdient?“, aber in glücklichen Tagen fragen wir das sehr selten.

„Danket dem Herrn; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.“ ist der Anfang des Psalms für diese Woche. Und dann nennt der Psalm eine Reihe von Menschen, die alle Grund haben, Gott zu danken. Da sind die, die aus einer Gefangenschaft befreit wurden. Da sind die, die Hunger und Durst hatten, die sich in der Wüste verlaufen hatten und gerettet wurden. da sind die, die aus Dummheit auf die schiefe Bahn geraten waren und wieder auf den rechten Weg zurückgeleitet wurden, Da sind die, die aus Stürmen auf hoher See gerettet wurden. All diese Menschen haben die Güte Gottes erlebt, stellt der Psalmdichter fest. All diese Menschen haben guten Grund, Gott zu danken, und werden deshalb dazu aufgefordert.

Die biblischen Texte dieses Sonntags haben noch andere Beispiele für Bewahrungen und damit für Dankesgründe. Da wird vom Ende der Sintflut und der Bewahrung aller, die in der Arche waren, berichtet. Da klingt die tröstende Zuwendung Gottes an sein Volk, das in Gefangenschaft sitzt, an. Da wird von der Stillung des Sturms durch Jesus erzählt und wie Jesus ein anderes Mal den sinkenden Petrus hält und aus dem Wasser zieht. Da wird erzählt, wie Jesus die Frau, die als unheilbar galt, geheilt hat.

Und nun können wir uns überlegen, welche Gründe wir haben, Gott zu danken. Und wenn nun jede und jeder von uns ganz persönlich auf sein Leben schaut, dann kann sicher jede und jeder eine sehr lange Liste von Dankesgründen nennen. Sicher, die wird unterschiedlich ausfallen. Und manchmal steht der Dankesliste auch eine Klageliste gegenüber. Das Klagen und Bitten gegenüber Gott hat auch seine Berechtigung. Auch das machen uns ja die Psalmen vor. Auch dazu laden sie immer wieder ein. Aber, dass wir Gott danken können und sollen, steht eben manchmal im Hintergrund. Da braucht es die Liste, die Erinnerung der Gründe schon manchmal.

Ein gutes Essen ist sicher ein guter Dankesgrund. (Und so ist das Dankgebet nach dem Essen, wie es in unsere Familie ein fester Ritus ist, immer gerechtfertigt.) Dass wir nicht hungern und dürsten müssen, sondern eine reiche Auswahl an guten Speisen und Getränken haben, ist sicherlich ein solcher Dankesgrund. Dass wir in einem freien Land und einer guten und starken Demokratie leben, gehört ebenso auf unsere Liste, aber auch, dass wir einen Rechtsstaat haben, in dem keine Willkür herrscht und keiner einfach so hinter Gittern verschwindet. Und dass wir unsere Meinung frei sagen dürfen, sogar wenn wir behaupten, dass wir sie nicht frei sagen können.

Die Bewahrung in Stürmen, auch wenn wir nicht zur See fahren, ist ein Grund zum Danken, auch die Bewahrung in den Stürmen des Lebens. Eigentlich gehört auch jede Auto- oder Fahrradfahrt, die heil ausgegangen ist, auf diese Dankesliste genauso wie mancher Fußweg, denn wie leicht kann ein Unfall passieren. Wie oft haben wir das Gefühl, dass da ein Schutzengel am Werk gewesen sein muss, den Gott geschickt hat.

Für mich gehört auch unser medizinscher Standard auf diese Dankesliste. Für jede gelungene Operation, viele Heilungen, viele Medikamente und auch die Impfungen gehört meines Erachtens der Dank nicht nur den Mediziner*innen und Pharmazeut*innen, den Therapeut*innen und dem Pflegepersonal, sondern auch Gott.

Natürlich ist die Corona-Pandemie kein Grund, Gott zu danken. Sie ist vielmehr ein Sturm, der uns bedroht, und ein Wasser, in dem wir zu versinken drohen. Wir wissen um die fast sechs Millionen Coronatoten weltweit und die 375 Millionen Erkrankten, die zum Teil lange an Covid leiden. Die Corona-Pandemie ist auch etwas, was uns gefangen hält, weil sie unser Leben bestimmt und Kontakte und Freiheiten beschränkt. Wie gesagt, über all das dürfen wir und sollen wir durchaus vor Gott klagen. Das hat seine gute und volle Berechtigung.

Aber dass es, anders als in anderen Ländern, bei uns bisher keine Massengräber der Coronaverstorbenen geben musste und die Intensivstationen nicht überlastet waren, dass so schnell wirksame Impfstoffe entwickelt werden konnten und jetzt sogar schon erste Medikamente gegen die Krankheit zu bekommen sind, sind für mich sehr, sehr gute Gründe, Gott zu loben und zu danken. Genauso möchte ich Gott für die Solidarität und die große gegenseitige Hilfsbereitschaft in den Lockdown-Zeiten danken. Und natürlich für jede und jeden, der von einer Covid-Erkrankung geheilt werden konnte, und jede und jeden, der vor dieser Erkrankung verschont wurde.

Unser Gast damals hat meine Aufforderung „Dann lasst uns mal danken!“ völlig missverstanden. Gottes Güte war bei ihm einfach nicht im Blick und ist es wohl auch bei uns zu selten. Deshalb ist es gut, dass wir mit dem Psalm dieser Woche an unsere Dankgebete erinnert werden: „Danket dem Herrn; denn er ist freundlich, und seine Güte währet ewiglich.“

Bleiben Sie negativ und denken Sie positiv! Mögen Sie viel Grund haben, Gott zu danken!
Ihr Pfarrer Johannes Beer