An(ge)dacht zum 1. Sonntag im Advent 2021

„Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“

(Sacharja 9,9a)

In Deutschland haben wir keinen politischen König oder Kaiser mehr. Die Monarchie hat sich bei uns seit bereits mehr als einhundert Jahren erledigt. Und, anders als in anderen Staaten, möchte keine politisch relevante Kraft in Deutschland ernsthaft die Königsherrschaft wieder einführen.

Und dennoch verkauft sich unter den Klatschmeldungen nichts so gut, wie Nachrichten aus den Königshäusern, seien es Skandale oder Meldungen, die so manchen dahinschmelzen lassen. Auch werden viele bis heute ganz aufgeregt, wenn ein gekröntes Haupt in unsere Stadt kommt.

Als Kind habe ich das zum ersten Mal erlebt. Damals war es die holländische Königin, die meine Heimatstadt Münster besuchte. Mir ist dies in eindrücklicher Erinnerung, weil es eben ganz anders und vielleicht aufregender war als bei anderen Staatsbesuchen. (Gut, mal vom Papst abgesehen.)

Die Stadt wurde gereinigt und geschmückt. Blumen und Girlanden waren die Zierde und vor allem die Fahnen. Ein Meer von Fahnen. Auch die Menschen machten sich fein. Zogen ihren Sonntags-Ausgeh-Anzug an und schritten würdevoll einher. Aber die Stadt bereitete sich nicht nur äußerlich vor, sondern da wurde auch geguckt, wie der hohe Besuch empfangen werden konnte, was man ihm schenken wollte und wie man Hoheit angemessen begegnen könne.

„Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“ Dieser Vers steht über dem Beginn des Kirchjahres, über dem Beginn der Adventszeit. „Siehe, dein König kommt zu dir.“

Unsere Stadt ist geschmückt: Girlanden hängen, Tannenzweige und Tannengrün sind überall. Viele Lichter brennen. Gerade in den dunklen Abendstunden ist unsere Stadt herausgeputzt und lädt glänzend und strahlend mit ihrem Weihnachtslicht ein. Wir warten also offenbar auf unseren König.

Aber wird dies sein, wie es bei der holländischen Königin damals oder anderen weltlichen Herrschern war oder ist? Welchen König erwarten wir eigentlich, und wie bereiten wir uns, ja bereiten wir uns auch ganz persönlich vor?

Es geht auf Weihnachten zu, und wir erwarten selbstverständlich das Christkind. Wir erwarten ein kleines Kind, dass wie alle Kinder ist. Auf den ersten Blick sieht man ihm den König nicht an. Und schon gar nicht bei seiner Umgebung, denn es liegt ja in einer Futterkrippe in einem Stall, statt in einer Wiege in einem Palast geborgen zu sein.

Aber da ist doch ganz Besonderes. Die Erzählungen der Bibel zeigen es. Da wird von Hirten und Weisen erzählt, die kommen um dieses Kind anzubeten. Arme und reiche, einfache und hochgebildete Menschen kommen zum neugeborenen Kind und verehren es.

Und dieses Kind wird zum Mann. Es wird zum Mann, der sich in alle Niedrigkeit der Menschen begibt. Er sucht die Menschen, wo sie sind. Er sucht die Ausgestoßenen und die an den Rand gedrängten. Er sucht die Kranken und Gesunden, die Armen und die Reichen, die Frommen und die Sünder. Allen predigt er von Gott. Allen bringt er Gottes Liebe. „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“

Und dann erst der Einzug nach Jerusalem. Die Begeisterung der Menge ist faszinierend. Die Menschen bedecken den Weg mit ihren Kleidern und frischen Zweigen. Der König soll seinen Fuß nicht stoßen müssen. Kein Staub soll aufwirbeln und den König beschmutzen. Und die Menge jubelt, singt und ruft: „Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!“

Wir werden an den Gesang der Engel erinnert. Und Hoffnung steigt auf, dass nun ganz Jerusalem verstanden hat, wer da in die Stadt einzieht. Hoffnung, die wohl auch die Jünger und eine ganze Reihe von Anhänger*innen gehabt haben. Hoffnung, dass nun Christus als König anerkannt wird und seine Herrschaft endlich uneingeschränkt beginnen kann.

Aber Jesus kommt nicht hoch zu Ross. Er kommt nicht prunkvoll, wie man das von einem König erwartet. Da sind andere ganz anders in Jerusalem eingezogen. Als demütiger Reiter auf einem Lasttier zieht er in Jerusalem ein. Und sein Bild will so gar nicht zu der Reaktion der Menge passen. Und die Menge hat es nicht begriffen. Sie kennen das Sacharja Wort nicht oder haben nur die erste Hälfte verinnerlicht. Aber das ganze Wort kündigt Jesus an: „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel.“

Aber Jesus geht diesen seinen Weg der Niedrigkeit. Er geht den Weg, den keiner von diesem König erwartet hatte. Er geht ihn bis zum bitteren Ende.

Die Menge, die beim Einzug ihr „Hosianna“ sang, brüllt fast nur Stunden später ihr „Kreuzige!“ Und Jesus wird mit Dornen gekrönt. Mit einem alten Soldatenmantel auf den Schultern und einem Rohr in der Hand wird er als König der Juden ausgerufen, verspottet und gequält. Pilatus führt ihn so vor und karikiert damit den wahren Anspruch dieses Königs. Als König der Juden stirbt er am Kreuz den schmachvollen Tod. Vom König der Ehren oder dem Herr der Heerscharen, wie im Psalm 24, kann da kaum die Rede sein.

Aber Jesus Christus ist auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, er sitzt zur Rechten Gottes, des allmächtigen Vaters, und von dort wird er kommen. Am Jüngsten Tag ist die Wiederkunft. Dann ist die zweite Ankunft Jesu Christi, der zweite Advent in unserer Welt. „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“

Und wie bereiten wir uns nun auf das Kommen unseres Königs vor?

Manchmal habe ich den Eindruck, dass wir zwar unsere Städte und unsere Häuser und Zimmer schmücken, aber uns nicht selber vorbereiten mögen. Wir freuen uns auf Weihnachten, aber viele nehmen alte Weihnachtsbräuche vorweg. Vielleicht weil sie Angst haben, dass sie zur Besinnung kommen oder weil sie nicht wissen worauf sie (abgesehen vielleicht von den Geschenken) eigentlich warten sollen. Aber nicht umsonst ist die Adventszeit eigentlich eine Bußzeit. Wir können uns durch Buße und Umkehr vorbereiten auf den, der da kommt. Wir warten auf das Kind, auf den Gekreuzigten, den Auferstandenen und auf den zukünftigen Herrscher. Wir dürfen uns freuen, aber auch vorbereiten, auf unseren König. „Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer.“ Dieser Vers steht über dem Beginn des Kirchjahres, über dem Beginn der Adventszeit und zieht sich hoffentlich durch unser Leben.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Advent!
Ihr Pfarrer Johannes Beer