An(ge)dacht am 15. Sonntag nach Trinitatis am 12. September 2021

„Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“
(1. Petrus 5,7)

„Alle eure Sorge?“ Lieber Petrus, wenn Du wüsstest, was uns so alle umtreibt und sorgt. Terrorismus und Krieg, Folter und Flüchtlingsdramen sind nun schon lange Zeit Gründe für Sorgen. Die Nachrichten unserer Tage geben ja wirklich genug Anlass sich zu sorgen. Die politische Weltlage mit dem Erstarken nationalistischer und militaristischer Diktaturen tut das ihre dazu. „Alle eure Sorge werft auf ihn?“

Nicht nur in der Seelsorge treffe ich Menschen, deren Leben durch eine akute Krankheit gefährdet ist. Auch wir nicht direkt betroffenen können uns vorstellen, was die Diagnose „Herzinfarkt“ oder „Krebs“ auslöst, welche Gedanken und Ängste aufsteigen. Fragen stellen sich dann unweigerlich: „Werde ich leben können? Unter welchen Bedingungen wird das sein? Wie sieht meine Zukunft und die Zukunft meiner Familie aus?“ Wie dunkle Wolken hängen diese Gedanken über den Tagen. „Alle eure Sorge werft auf ihn?“

Lieber Petrus, hast Du eigentlich etwas von unseren Sorgen gewusst oder auch nur geahnt? Konntest Du Dir eigentlich annähernd vorstellen, was uns heute umtreibt und den Schlaf raubt? Und, lieber Petrus, wie meinst Du das in Deinen Ermahnungen am Briefende: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch.“? Sollen die Gemeinden, die das lesen, sollen auch wir, sorglos in den Tag leben? Sollen wir die Hände in den Schoß legen und Gott alles für uns regeln lassen? Sollen wir schlicht beten statt zu handeln?

Wenn wir den ersten Petrusbrief aufmerksam lesen, werden unsere Anfragen zum Teil relativiert und natürlich auch beantwortet. Sicher, der Briefeschreiber Petrus schreibt nichts über Umweltverschmutzung und erwähnt kaum persönliche wirtschaftliche oder gesundheitliche Not, aber der Anlass für seinen Brief ist mindestens ebenso schlimm und gibt mindestens ebenso Grund zu unerträglichen Sorgen.

Die Gemeinden, denen dieser Brief als erstes galt, wurden verfolgt, weil sie Christinnen und Christen waren. Es war nicht so, dass irgendetwas besonders vorgefallen war oder Christen irgendein Verbrechen begangen hatten. Aber diese neue Religion war den damaligen Machthabern fremd und suspekt. Da beriefen sich Menschen auf einen einzigen Gott und lehnten alle anderen als Götzen ab. Da galten Christen und Christinnen als gefährlich intolerant, weil sie nicht bereit waren, auch den Götterbildern der Stadt oder den vergöttlichten Kaisern zu opfern und sie anzubeten. Da wurde in den Augen der römischen Herrschenden ein Gescheiterter, ein am Kreuz hingerichteter Verbrecher zum Idol erhoben und als auferstandener Herr und König verehrt. Wer sich zu so einem hielt, musste doch wohl selbst ein gefährlicher Mensch, wenn nicht sogar Verbrecher sein. Und so war es damals selbstverständlich, was wir aus anderen Zeiten für andere Randgruppen ja auch kennen: Wenn ein Sündenbock gesucht wurde, dann waren das diese Christen und Christinnen. Ob ein Haus abbrannte, die Ernte schlecht ausfiel, die wirtschaftliche Lage schwierig wurde oder jemand geheimnisvoll erkrankte. Es waren diese Christen und Christinnen, die man also bekämpfen musste.

Die christlichen Gemeinden wurden verfolgt. Gottesdienste und Versammlungen verboten. Zuwiderhandelnde eingesperrt. Und wer nicht dem Christentum abschwor wurde den Löwen vorgeworfen oder auf andere Weise hingerichtet. Das machte den Gemeinden Sorgen, als dieser Brief ankam. Es waren in jeder Hinsicht echte existenzielle Sorgen. Und der Briefeschreiber Petrus weiß um diese Not und nimmt sie sehr ernst. Er wollte mit seinem Schreiben trösten und Mut machen. Er wollte Hoffnung sähen und Zuversicht und Gottvertrauen fördern.

Und am Ende seines Briefes fasst er alles noch einmal in seinen Mahnungen zusammen. Zuerst an die Ältesten, die Presbyter, also die Gemeindeleitung. Dann aber auch an alle. Und dabei wird die Verfolgungssituation ganz direkt in einem Bild angesprochen, das damals jedem sofort klar war: „Seid nüchtern und wacht; denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge. Dem widersteht, fest im Glauben, und wisst, dass ebendieselben Leiden über eure Geschwister in der Welt gehen.“

Der Briefeschreiber Petrus weiß also um die Sorgen und er will gerade angesichts dieser Sorgen und Nöte trösten und nicht vertrösten. Er verweist nicht auf Gott, weil ihm nichts anderes einfällt und er nur die eigene Hilflosigkeit übermänteln will, sondern weil er Gott als die Quelle der Kraft und das Gebet als den Anfang des Handelns erlebt hat. Sicher, die Gemeinden und jede und jeder einzelne in ihnen soll seine Sorgen auf Gott werfen, aber keiner soll sich dann zurücklehnen und sich selbst um nichts mehr kümmern. Der Schluss der Mahnungen in diesem Brief macht es deutlich, was von Gott und was von den Christinnen und Christen erwartet wird: „Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, die ihr eine kleine Zeit leidet, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.“

Vier Worte machen deutlich, was mit betenden Menschen, die ihre Sorgen auf Gott werfen, geschieht. Gott wir diesen Menschen „aufrichten, stärken, kräftigen und gründen.“ Alles Begriffe, die wir sofort verstehen. Alles Begriffe, die von der Kraft sprechen die Gott schenkt. Begriffe, die uns deutlich machen, dass unser Handeln mit dem Beten nicht aufhört, sondern erst anfängt.

Und bis heute wird dieser Vers nach der evangelischen Agende Täuflingen bei der Taufe zugesagt. Bis heute heißt es immer wieder unter Handauflegung „Der Gott aller Gnade, der dich berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird dich aufrichten, stärken, kräftigen, gründen.“ Bis heute gelten diese Begriffe, die von der Kraft sprechen die Gott schenkt.

Und natürlich gilt diese Kraft auch heute angesichts unserer, angesichts der eingangs genannten Sorgen. Natürlich, es sind und bleiben Sorgen. Aber es ist doch immer die Frage, ob wir uns von ihnen beherrschen lassen, oder ob wir sie beherrschen. Ein kluger Mensch hat einmal gesagt: „Du kannst nicht verhindern, dass die Vögel der Sorgen über Deinem Kopf fliegen, aber Du kannst verhindern, dass sie in Deinen Haaren Nester bauen.“

Deshalb schreibt Petrus uns: „Alle eure Sorge werft auf ihn; denn er sorgt für euch. Der Gott aller Gnade aber, der euch berufen hat zu seiner ewigen Herrlichkeit in Christus Jesus, der wird euch, aufrichten, stärken, kräftigen, gründen. Ihm sei die Macht von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“.

Diesem Wunsch für Sie, schließe ich mich von ganzem Herzen an.

Ihr Pfarrer Johannes Beer