An(ge)dacht am Heiligen Abend 2023

Liebe Gemeinde,
„Ihr werdet finden“, mit diesen Worten schickt der Engel die völlig überrumpelten Hirten auf
den Feldern von Bethlehem in der Heiligen Nacht auf den Weg. „Ihr werdet finden. Eure Suche
wird nicht vergeblich sein. Und auch der Weg nicht, den ihr auf euch nehmt. Ihr werdet das
Wunder dieser Heiligen Nacht finden. Und das habt zum Zeichen: Ihr werdet finden das Kind
in Windeln gewickelt und in einer Krippe liegen.“ (Lukas 2,12)
„Ihr werdet finden“, das verheißt auch der Stern den drei Weisen aus dem Morgenland, die sich
auf dieses Himmelszeichen hin aufmachen, um dem neugeborenen König zu huldigen.
(Matthäus 2,2)
„Ihr werdet finden“, diese Verheißung gilt beiden: Denen, die von dieser Nacht nichts anderes
erwarten als eine Nacht wie jede andere auch. Und ebenso denen, die schon ihr Leben lang
Ausschau halten und auf der Suche sind nach dem einen Moment, der ihr ganzes Leben
verändern soll. Sie beide werden, je auf ihre Weise, in dieser Nacht auf den Weg geschickt.
Gelockt nur durch die Freudenbotschaft des Himmels: „Ihr werdet finden.“
Aufbrechen, sich auf den Weg machen und suchen müssen sie schon selbst. Und auch das ist
wohl wahr: Der Weg, der zum Ziel der Suche, der Weg, der zum Kind in der Krippe führt, ist
nicht für jeden Menschen gleich. Die überraschten Hirten haben es nah und sie finden gleich,
was sie suchen sollen. Die Weisen aus dem Morgenlande hingegen, bezeichnenderweise gerade
die gut Vorbereiteten und Klugen dieser Welt, tun sich da schon etwas schwerer. Ihr Weg
verläuft nicht so gerade. So manchen Umweg, ja sogar Irrweg müssen sie gehen, bevor auch
sie schließlich finden, was sie so nicht gesucht haben. Und doch wissen sie sich am Ende am
Ziel ihrer Reise „und beteten das Kindlein an“ (Matthäus 2,11).
„Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen“,
so hatte es Gott einst schon durch den Propheten Jeremia verkünden lassen (Jeremia 29,13).
Und auch Jesus wird später diejenigen, die trotz aller Anfechtungen und Zweifel nicht aufhören
nach Gott zu fragen, in ihrem Suchen ermutigen: „Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so
werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan.“ (Matthäus 7,7)
Aber noch ein dritter Weg führt in dieser Nacht zu dem neugeborenen Kind. Und ohne diesen
Weg gäbe es die beiden anderen nicht. Es ist der Weg Gottes zu uns Menschen. Der Weg
dessen, der sich in dieser Nacht ebenfalls in einer Suchbewegung auf den Weg gemacht hat.
Auf die Suche danach, wie er uns Verlorenen finden und selig machen kann: „Denn der
Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist“ (Lukas 19,10),
wird das Kind in der Krippe einige Jahre später als erwachsener Mann sagen.
Drei Wege, drei Suchbewegungen, die sich an Weihnachten kreuzen und beim Kind in der
Krippe zu ihrem Ziel kommen.
Zu ihrem Ziel – nicht zu ihrem Ende. Denn ein Bleiben gibt es in den Weihnachtsgeschichten
für Niemanden: „Die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott für alles, was sie gehört
und gesehen hatten“, heißt es in der Weihnachtsgeschichte nach Lukas weiter (2,20). Und auch
die Weisen aus dem Morgenland zogen wieder in ihr Land, wenn auch auf einem anderen Weg,
als sie gekommen waren (Matthäus 2,12). Mit dem Wissen gefunden zu haben, wonach sie ihr
Leben lang gesucht haben, kehren sie erfüllt und verändert in ihren Alltag zurück. Und das
Kind?
Sein Suchen beginnt in dieser Nacht. Sein Suchen nach dir und mir: „Denn der Menschensohn
ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ Es kommt zum Ziel, wenn
auch wir uns von ihm finden lassen. Das muss nicht an Weihnachten sein. Es wird sich schon
begeben, zu meiner Zeit, zu Deiner Zeit, zu Seiner Zeit … Gott lässt diese Welt und uns nicht
im Stich. Er begibt sich mitten in alles Dunkel dieser Welt hinein und will bei uns bleiben. Wir
haben sein Versprechen und wir haben sein Zeichen, das Zeichen des Kreuzes: Gott gibt sich,
Er begibt sich – Geheimnis des Glaubens – Heilige Nacht!
Amen.

Ihre Pfrn. Dr. Kern