An(ge)dacht am Drittl. Sonntag des Kirchenjahres, den 12. November 2023

Eine meiner Lieblingsgeschichten in diesen kalten Herbsttagen ist seit meiner Kindheit die Geschichte der kleinen Maus Frederick. Während die anderen Mäuse um ihn herum emsig Nüsse, Körner und Samen für den bevorstehenden langen Winter sammeln, liegt Frederick auf einem Stein und lässt sich die Herbstsonne auf den Bauch scheinen. Versonnen blickt er in den blauen Himmel.
Die anderen Mäuse ärgern sich über den „Träumer“. Darauf angesprochen, warum er ihnen nicht bei der Vorratssuche helfe, erklärt Frederick: „Aber ich sammle doch. Ich sammle Sonnenstrahlen, die vom Himmel fallen. Ich sammle Lieder, die die Vögel singen. Ich sammle Geschichten, die der Wind erzählt.“
„Du bist und bleibst eine faule Maus“ sagen da die anderen Mäuse und gehen weiter ihrer Arbeit nach.

Im kalten Winter kuscheln sich die Mäuse beim ersten Frost eng in ihrer Höhle zusammen. Sie haben es warm und ihre Bäuche sind gefüllt. Doch etwas fehlt ihnen. Ihnen fehlt der Frühling. Ihnen fehlte der warme Sommer. So dunkel, so kalt, so lang ist der Winter. Und noch so viele Tage wird es dauern, bis sie endlich aus ihrem Bau kriechen können. Die Sehnsucht nach den warmen, hellen Jahreszeiten wird so groß, dass sie weinen müssen.
Frederick aber nicht. Er setzt sich zu seinen Mäusefreunden und beginnt zu erzählen. Er erzählt von den Sonnenstrahlen. Wie warm und wohlig sie sich auf dem Fell anfühlen. Er singt ihnen die Lieder der Vögel vor. Er erzählt die Geschichten des Windes. Den Mäusen wird warm ums Herz. Den ganzen Winter bleiben sie beieinander sitzen und lauschen Frederick. Und als er seine letzte Geschichte erzählt hat, ist der Winter schon vorbei. Die Vögel sind zurückgekehrt, die Sonne scheint und die Mohnblumen öffnen ihre Knospen. Der Frühling ist zurückgekehrt. Und weil Frederick die Sonnenstrahlen, die Lieder und die Geschichten gesammelt hatte, kam der Frühling schneller als jemals zuvor. Zumindest denken das seine Mäusefreunden.

Liebe Leser:innen,     
was haben Sie im vergangenen Frühling und im Sommer gesammelt? Schöne Erinnerungen an die ersten Tulpen und Krokusse, das erste Eis auf dem Gänsemarkt? Momente, in denen die Sonne warm ihr Gesicht beschienen hat? Oder haben Sie Erinnerungen an liebevolle und freundliche Begegnung und tiefe Gespräche gesammelt? Denke sie an gemütliches Beisammensein an langen Sommerabenden? An Zeit in der Natur?
Welche Geschichten erzählen Sie in den kalten und dunklen Tagen, die bereits angebrochen sind und weiter auf uns zukommen? Was trägt Sie in den dunklen Zeiten des Winters, aber auch in den dunklen Zeiten des Lebens?

Jesus selbst hat in seinem Leben dunkle Zeiten und Durstrecken erlebt. Als er vom Teufel in der Wüste versucht wird, soll er Steine in Brot verwandeln und damit seine göttliche Macht demonstrieren.
„Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“, sagt Jesus, „sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.“ Es ist nicht nur das Brot, das satt macht. Jesus weiß sich getragen und gehalten vom Wort Gottes. Er selbst ist in diese Welt gekommen und hat die frohe Botschaft weitergetragen. Er hat den Menschen mitten hinein in all ihre Finsternis und Dunkelheit diesem Gott, seinem Vater, erzählt und so ihr Leben hell gemacht. Die Menschen damals haben sich um Jesus geschart und ihm zugehört. Sie haben leuchtende Augen und vor allem Trotzkraft bekommen. Sie haben Hoffnung auf ein Ende von Armut und Gewalt, von Angst und Machtlosigkeit gespürt. Sie haben Hoffnung geschenkt bekommen, die so wichtig ist, wie das tägliche Brot.           
Gottes Worte sind Lebensworte, sie nähren in uns die Hoffnung auf Liebe, Frieden und Versöhnung untereinander. 
Es sind diese Hoffnungsworte, die auch uns durch schwierige und dunkle Zeiten tragen können. Jesus macht uns Mut, dass es bei Gott nicht dunkel bleiben wird, sondern sein Licht alle Dunkelheit durchbricht. So sicher, wie auf den Winter der Frühling und der Sommer folgen. Menschen werden sich die Hände reichen und die Erde wird neu werden, ganz neu erblühen. Christus sagt von sich selbst, ich bin das Licht der Welt und wer mir nachfolgt, wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.

Lassen Sie uns besonders in diesen dunklen Zeiten nicht aufhören, uns gegenseitig Hoffnungsgeschichten zu erzählen, auch wenn uns die anderen für Träumer halten. Diese Hoffnung ist begründet in Jesus Christus. Lassen sie uns die frohe Botschaft weiter in diese Welt tragen.

Ihr Vikar Lars-Manuel Stötzel