An(ge)dacht für den 13. Sonntag n. Trinitatis

Lots Frau

Im Alten Testament gibt es die berühmte Erzählung von dem Untergang der Städte Sodom und Gomorra. (1. Mose 19, 12 – 26) Eine, so heißt es,  entkommt der Katastrophe nicht!

Die Geschichte gipfelt in dem Satz: „Und Lots Frau sah hinter sich und ward zur Salzsäule.“Dieser Satz erzählt die kürzeste Geschichte eines missglückten Entrinnens.Was wir in diesem letzten Satz zu hören bekommen, ist das Schicksal einer Frau, die die Voraussetzungen für einen Neubeginn in ihrem Leben nicht erfüllen konnte. Sie blickte, trotz der Warnung der Engel, hinter sich – und sah ein Inferno. Einige Ausleger haben das Schicksal dieser Frau als eine Strafe gedeutet, weil sie sich nicht an das hielt, was die Engel befohlen haben. Sie ist – so die Meinung – ungehorsam gewesen. Und nun – so würden diese Ausleger weiter argumentieren: Seht her, das geschieht mit einer Frau, die nicht gehorsam sein wollte – die Strafe folgt auf dem Fuß.Ich möchte Ihnen heute eine andere Deutung vorschlagen, denn in dem biblischen Text lese ich nichts von einer Strafe für einen verbotenen Blick, sondern ich lese etwas von den Folgen eines getanen Blicks – und das, denke ich, ist ein Unterschied.

Es heißt: Lots Frau erstarrte, nachdem sie sich umschaute , zur Salzsäule.Die Salzsäule als Bild eines seelischen Zustandes, einer erstarrten Seele, die sich von dem Unglück, dem sie so lange ausgesetzt war, nicht lösen kann. Um diese Frau und ihr Unvermögen zu verstehen – um die Situation zu verstehen, in der sich Lots Frau befand, müssen wir uns vorab die Frage stellen: welches Unglück hatte sie getroffen, wie sah ihr Leben in dieser Stadt aus, was war ihr dort widerfahren? Lots Frau hatte als eine Fremde in dieser Stadt leben müssen, die für alle ausländischen Menschen eine Hölle auf Erden war. Denn die Einwohner der Stadt Sodom machten sich einen Spaß daraus, Fremde zu vergewaltigen und öffentlich bestialisch zu foltern. Lots Frau und ihre ganze Familie lebten in der ständigen Angst vor sexuellen, gewalttätigen Übergriffen. Jede Stunde des Tages war von dieser Angst bestimmt, zu jedem Zeitpunkt konnte sie in die Gefahr geraten, dieser Unmenschlichkeit ausgesetzt zu sein. Das war ihre Lebenssituation vor der Flucht, ihre alltägliche Wirklichkeit, ihre ganz persönliche Hölle. Und in dem Moment, in dem sie zurückblickte, sah sie – so denke ich – nicht nur die Zerstörung einer Stadt, in der sie gelebt und gelitten hatte, sondern gleichzeitig sah sie einen Teil ihrer Vergangenheit, ihren eigene Lebensgeschichte. Und dieser Rückblick führte zur Erstarrung: sie konnte sich nicht mehr vom dem Erlebten und dem Erfahrenen lösen und somit befreien und eben deshalb blieb sie darin verhaftet. Ich weiß nichts vom dem Verfasser oder der Verfasserin, die diese Geschichte für uns überliefert hat. Aber es muss sich dabei um jemanden handeln, der oder die ein sehr feines Gespür für die Verwundbarkeit einer Seele hat.

In diesem Bild von der Salzsäule wird uns die Erfahrung eines seelischen Zustandes vermittelt, nämlich wie schwer eine Seele verwundet werden kann, wenn nicht sogar tödlich getroffen. Es gibt – dies wäre eine erste Deutung dieser Geschichte – Erfahrungen von Gewalt, Lieblosigkeit und Härte, die dazu führen, dass Menschen verstummen und innerlich erstarren. Denn darin lässt diese Geschichte keinen Zweifel: die Tragik ihres Schicksals lag darin, dass sie von ihrer Hölle nicht mehr lassen konnte und somit nur eine Vergangenheit hatte aber keine Zukunft.

Am Beispiel der Frau von Lot macht uns die Heilige Schrift auf die Erstarrung einer menschlichen Seele aufmerksam und zeigt uns mit ihr einen Menschen, der für sich keine Hoffnung mehr gewinnen kann, jemals dieser Hölle zu entrinnen. Christus hat immer wieder die Frage  Menschen gerichtet: Was ist es, was ich dir tun kann?

Für mich besteht in seiner Frage die Fortsetzung dieser Geschichte. Denn mit dieser Frage zeigte er an, dass er interessiert ist am Wohl seines Gegenübers, das er Anteil nimmt und sich berühren lässt von dem Schicksal des anderen. Seine Frage zeigt an: lange Zeit warst du allein mit all dem, was dich bekümmert, aber nun ist das nicht mehr so: Ich höre dir zu und teile damit dein Leid. Und ich traue dir zu, dass wir gemeinsam einen Weg heraus finden. Das Aufnehmen seiner Frage gibt meinem Gegenüber Gelegenheit über die Verwundungen, die Ängste und Hoffnungslosigkeiten zu sprechen und damit auch zu beginnen, diese Erfahrungen zu verarbeiten.

Das Aufnehmen dieser Frage – so meine Erfahrung   kann Erstarrungen lösen und manchmal führt sie dazu, dass auch wieder Tränen fließen können und mit ihnen wieder ein lebendiges Zeichen der Seele zum Vorschein kommt. Oder um im Bilde zu bleiben, dass das Salz sich auflöst.

Ein erster Schritt ins Leben zurück.

Pfarrerin Gabriele Steinmeier