An(ge)dacht zum 06. August 2023

Das war eine verpasste Chance, da habe ich mich nicht getraut. Die Tür war einen Moment lang offen und doch habe ich nicht gewagt, über ihre Schwelle zu treten. Damals habe ich lieber auf das gesetzt, was ich habe. Weil es bequem ist, weil es sich bewährt hat, weil es die berühmte „Nummer sicher“ war.

Liebe Leser*innen,

vielleicht sind ihnen derartige Gedanken nicht unbekannt. Gedanken, die um ein „Was wäre gewesen, wenn…?“ und ein „Hätte ich damals bloß den Mut gehabt…“ kreisen. Das kann der Moment eines verpassten Kusses auf der Parkbank, eine verpasste Liebe sein. Es kann eine Veränderung im Berufsleben, die Chance auf eine neue Stelle sein, die man schließlich doch nicht ergriffen hat; vielleicht aus Selbstzweifeln oder Angst, der Herausforderung nicht gewachsen zu sein.

Im Leben stehen wir vor zahlreichen Entscheidungen, ganz kleinen und auch großen.

Die kleinen berühren uns in der Regel kaum: Ziehe ich heute das rote oder das blaue Kleid an? Trinke ich Kaffee oder heute mal Tee?

Die großen Entscheidungen hingegen ringen uns Respekt ab:

Ist jetzt der richtige Zeitpunkt für ein Kind? Bin ich dem gewachsen? Soll ich sie/ihn heiraten? Soll ich meinen Beruf vorzeitig verlassen?

Ich selbst fürchte mich vor großen Entscheidungen, die mir in meinem Leben begegnen; davor, sie irgendwann zu bereuen.

Oft endet das darin, dass ich gar nichts tue und erstarre, denn das Leben läuft ja schließlich weiter. Da setze ich lieber auf altbewährtes. Ich rede mich dabei klein, bis ich selbst glaube: „Das schaff ich nicht. Gut, dass ich es erst gar nicht versucht habe.“

Kurzfristig mag das eine Entlastung sein, schließlich ist die furchteinflößende Veränderung, das Verlassen der eigenen Komfortzone, erstmal abgewendet.

Langfristig, das weiß auch die Wissenschaft, bereuen wir oftmals aber das, was wir nicht getan haben im Leben. Wir bereuen, diese Türen, über deren Schwellen wir nicht getreten sind; bereuen nicht mutiger gewesen zu sein.

Die Bibel erzählt uns die Berufung Jeremias zum Propheten.

Jeremia ist von Gott als Prophet auserwählt worden. Gott hat großes mit Jeremia vor.

Er soll Israel zur Umkehr rufen. Das Volk Israel soll sich Gott zuwenden, sich zu ihm bekennen. Eine große Verantwortung möchte Gott Jeremias übertragen, eine große Herausforderung steht ihm bevor.

Und Jeremia? Er steht vor einer Aufgabe, die sich vor ihm auftürmt, wie ein Berg.

Er bekommt Angst. Zu groß erscheint ihm dieser Auftrag Gottes.

Schnell beeilt er sich zu sagen: „Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.“

Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete.“

Puh, ziemlich autoritär kommt mir Gott hier zunächst vor. Sollte man so mit Menschen reden, die ihre Bedenken äußern?

Gott reagiert in dieser Berufungsgeschichte so entschieden, lässt Jeremias Ausrede nicht gelten, weil er ihn kennt. Weil er weiß, was er kann. „Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker.“ Niemand kennt Jeremia besser als Gott selbst.

„Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen.“ Habe keine Angst Jeremia, du bist nicht allein, spricht Gott ihm zu. Ich bin bei dir und stütze dich auf diesem Weg und im entscheidenden Moment, werde ich dir helfen, so seine Zusage.

Gott verhehlt nicht, dass dieser Weg nicht nur gradlinig ist, sondern so manche Gipfel bezwungen und Schluchten durchschritten werden müssen. Und doch ist er an seiner Seite. Er macht Jeremia Mut, sich selbst etwas zuzutrauen.

Und mit einem Mal habe ich das Gefühl, Gott spricht mich an. Ich vertraue darauf, dass er einen Plan für mein Leben hat und ich merke einen wohlgemeinten „Tritt in den Hintern“. Ich merke, wie er mich auffordert, mutig mein Leben zu leben.

Niemand kennt mich so gut, wie Gott. Er weiß, was in mir steckt, was in uns allen steckt. Nutze das, was dir anvertraut ist. Mit mir an deiner Seite kannst du mutige Entscheidungen in deinem Leben treffen. Es wird sicher anstrengend, du wirst Altbewährtes ausreißen und neues Pflanzen müssen, aber ich bin bei all dem an deiner Seite.

Dabei denke ich an Menschen, die mir in meinem Leben schon einen „Tritt in den Hintern“ gegeben haben. Menschen, die auch entschieden sagen: Versuch es, trau dich! Ich glaube fest, du schaffst das. Das waren Menschen, die mir Mut gemacht haben, wo er mir selbst gefehlt hat. Das waren Menschen, die mir eine neue Perspektive eröffnet haben. Diese Menschen gab es in meinem Leben. Zweifelsohne sind das Menschen, die mich gut kennen und denen ich vertraue.

Ich wünsche uns für die Zukunft, dass Gott uns immer wieder einen wohlgemeinten „Tritt in den Hintern“ gibt. Ich wünsche uns, dass er uns den Mut gibt für einen Kuss im entscheidenden Moment und Kraft, für unsere Gefühle einzustehen. Dass er uns Mut macht, in welchem Alter auch immer Neuanfänge zu wagen oder schlechte Strukturen hinter uns zu lassen. Und ich wünsche uns, dass wir fest darauf vertrauen können, dass er mit uns auf dem Weg sein wird und uns nicht fallen lässt. Egal, was auch passiert. Schließlich hoffe ich, dass wir am Ende unseres Lebens mit Gott an unserer Seite auf mutig Entscheidungen zurückblicken können.

Ihr Vikar

Lars-Manuel Stötzel