An(ge)dacht zum 16.07.2023

Man hu – was ist das denn?

2. Mose 16: Das Manna in der Wüste

Die Wüste in dieser alttestamentlichen Erzählung ist nicht nur ein Ort sondern es wird mit ihr auch ein Zeitraum benannt. Die Wüstenzeit der Israeliten dauerte 40 Jahre. Wenn ich das bedenke, dann kommt mir in den Sinn:

Wüstenzeiten gibt es auch heute: Wüstenzeiten, das können die Zeiten unserer Trauer sein, in denen der Verlust eines Menschen, uns unser Leben öd und wüst erscheinen lassen. Da können die Tage zu Ewigkeiten werden, denn die Trauer lähmt alles in uns.

Die Vorstellung, dass diese Zeit auch einmal ein Ende haben wir, existiert zunächst nicht. Andere Wüstenzeiten sind die Zeiten der Krankheiten. Krankheit, dass bedeutet auch Stunden im Bett zu verbringen mit  sich selbst allein zu sein. Anzuerkennen wie fragil unser Leben ist und wie bedürftig auf die Hilfe anderer. Es gibt aber auch Wüsten in den zwischenmenschlichen Beziehungen: da lebt nichts mehr an positiven Gefühlen füreinander. An ihrer Stelle sind böse, aggressive und grausame erwacht, die jedes Miteinander im Keim ersticken oder vielleicht sogar erschlagen. Die Wüsten, die ich nun beschrieben habe, bestehen nicht aus Sand und Sonnenglut.

Die Heilige Schrift lehrt am Beispiel der Israeliten: Wüstenzeiten haben eine enorme Macht auf unsere Wahrnehmung. Alles wird nur noch durch die Wüstenperspektive erlebt und gefühlt. Eine Veränderung oder Milderung scheint gar nicht in den Bereich des Möglichen zu sein. Darum machen uns diese Zeiten ja auch solche Angst. Sie bekommen Ewigkeitscharakter, denn wir können sie nicht verändern. Ich denke, die Bibel erzählt uns auch in dieser Erzählung etwas von den Bedingungen des menschlichen Lebens – von der noch unerlösten Seite unserer Existenz. Bedingungen, die es eben zu allen Zeiten der Menschheit gegeben hat und geben wird.

Aber mit dieser Beschreibung menschlicher Lebensbedingungen begnügt sich diese biblische Erzählung nicht. Denn sie geht noch einen Schritt weiter. Nachdem sie die Not der Israeliten beschrieben hat, erzählt sie von der wundersamen Bewahrung durch Gottes Fürsorge und Hilfe. Das ist das erste, was uns gesagt wird über Wüstenzeiten und Gott: Egal in welcher Wüste wir uns befinden: Gott ist immer schon da und sieht unsere Not. Und er sieht sie nicht nur, sondern er tut etwas, damit diese Not gelindert wird, damit die Wüste ihren Schrecken verliert.

Aber da bekommt unsere Geschichte noch einmal eine merkwürdige Wendung: Denn das Brot, das da vom Himmel fiel, und die Not lindern sollte; dieses Manna wurde zunächst gar nicht als Brot / Hilfe erkannt. „Man hu?“, fragten die Israeliten. „Was ist das?“ Sie erkennen es nicht als etwas, das ihren Hunger stillen wird. Denn sie hatten eine andere Vorstellung davon, wie die Hilfe in ihrer Situation auszusehen hat. Sie dachten vermutlich an etwas ihnen bekanntes, etwa an  das Brot so wie es in Ägypten ausgesehen, gerochen und geschmeckt hat. Ich kann diese Menschen gut verstehen, ihre Überraschung, Enttäuschung und auch ihre Ungläubigkeit.

Denn auch ich habe immer sehr konkrete Vorstellungen davon, was passieren müsste, damit die Wüstenzeit zu einem Ende kommt. Und ich glaube, ich bin damit nicht allein. Aber genau diese konkreten Vorstellungen – das lehrt mich diese Erzählung- können es verhindern, dass wir die Fürsorge Gottes, seine Bewahrung in unseren Wüstenzeiten wahrnehmen. Denn – wenn wir ehrlich sind – wir wollen immer die Abschaffung der Wüstenbedingungen, wollen raus aus der Wüste und wenn das nicht geschieht, dann sagen wir vielleicht genauso wie die Israeliten damals:„Man hu?“: das könnte auch heißen: was soll mir das? Das ist nicht das, was ich wollte, was ich brauche. Das nützt mir nichts! Die Bewahrung Gottes in der Wüste bedeutet nicht die Abschaffung der Wüste und ihrer Bedingungen. Bewahrung bedeutet damals wie heute, dass uns etwa zuteil wird. Vielleicht ist es etwas, was wir gar nicht erwartet haben, was wir noch gar nicht kennen, aber es wird immer etwas sein, was uns durch die Wüste bringt.

Amen

Ihre Pfarrerin G. Steinmeier