Liebe Leserin und lieber Leser,
der alttestamentliche Text für diesen Sonntag ist ein Abschnitt aus dem Propheten Jeremia. Hier im Kapitel 1, Verse 4-10 wird seine Berufung erzählt.
4 Des HERRN Wort geschah zu mir: 5 Ich kannte dich, ehe ich dich im Mutterleibe bereitete, und sonderte dich aus, ehe du von der Mutter geboren wurdest, und bestellte dich zum Propheten für die Völker. 6 Ich aber sprach: Ach, Herr HERR, ich tauge nicht zu predigen; denn ich bin zu jung.
7 Der HERR sprach aber zu mir: Sage nicht: »Ich bin zu jung«, sondern du sollst gehen, wohin ich dich sende, und predigen alles, was ich dir gebiete. 8 Fürchte dich nicht vor ihnen; denn ich bin bei dir und will dich erretten, spricht der HERR. 9 Und der HERR streckte seine Hand aus und rührte meinen Mund an und sprach zu mir: Siehe, ich lege meine Worte in deinen Mund. 10 Siehe, ich setze dich heute über Völker und Königreiche, dass du ausreißen und einreißen, zerstören und verderben sollst und bauen und pflanzen. (Lutherübersetzung)
Jeremia ist ein kluger junger Mann. Er will keinen Mut beweisen. Er möchte kein Prophet sein. Denn er sieht voraus, dass es mit unbequemen Reden einsam um ihn herum werden wird. Wer möchte noch etwas mit ihm zu tun haben, wenn er das Unheil ansagt, das Gott über das Land bringen wird?
Jeremia versucht sich seinem Auftrag zu entziehen. Dasselbe wird auch von anderen Berufenen in der Bibel erzählt: Mose versucht mehrfach Gott zu entkommen, Gideon, Saul, Samuel weichen ihm aus; auch der Prophet Jona flieht vor Gottes Auftrag. Nirgendwo im Alten Testament wird die Unausweichlichkeit des prophetischen Amtes so radikal erzählt wie hier bei Jeremia.
Er soll also jenes Unheil prophezeien, das sich bereits anbahnt: der Krieg mit dem babylonischen König Nabopolasser. Jeremia soll in die Verwirrung hinein sprechen, die durch Zerstörung und die Vorbereitungen der Deportation unter den Israeliten entstanden ist. In dieser Auflösung der alten Ord-nungen hört man seine Stimme, die darum ringt, die Israeliten zurück zum Glauben zu bringen. Er redet dem Volk ins Gewissen, er erklärt die Kriegswirren und ihre Folgen als Strafe Gottes und als dessen letzten Versuch, sein Volk zu bekehren: Gott ist zornig. Er wirft ihnen vor, dass sie ihn eintauschen gegen andere Götter, gegen Götzen aus Stein oder Holz und Gold und Edelsteinen, die doch nicht helfen (Jeremia 10).
Scharfe Worte muss Jeremia sagen. Gegen seine eigenen Volksgenossen. Worte, die Gottes Zorn undzugleich seine Liebe ausdrücken. Obwohl auch das Bauen und Pflanzen zu seinem Auftrag gehören (Schluss von Vers 10), liegt das Hauptgewicht auf der Zerstörung und hinterlässt einen bitteren Geschmack.
Jeremia kannnicht mehr zurück. Er kann nicht schweigen. Das Wort Gottes ist stärker. Gegen seinen Willen ist er dazu berufen, gerade so er selbst zu sein, dass er Gottes Wort weitersagt, dass er Gottes Sehnsucht nach den Menschen seines auserwählten Volkes zur Sprache bringt.
Er fügt sich in sein Schicksal und lässt das Wort geschehen. Dabei wird er selbst zu einem Zeichen für das geschlagene Volk. Denn der Zorn der Getadelten richtet sich gegen ihn selber. Seine Kritik bewirkt gerade nicht, dass sie sich zu Gott bekehren. Nicht sie fühlen sich schuldig, sondern sie machen Jeremia dafür verantwortlich und drangsalieren ihn. Des öfteren wird er wegen seiner Reden verfolgt. Einmal werfen sie ihn sogar in eine schlammige Zisterne, nur durch die Fürsprache eines Freundes beim König wird er vor dem sicheren Tod bewahrt. (Jeremia 38, 6ff)
Jeremia wird dadurch selbst zu einer Botschaft. Er erleidet am eigenen Leib das Zerbrechen der Beziehung Gottes mit seinem Volk. An ihm können sie sehen, wie es ihnen in Wirklichkeit selber geht. Er ist einer von ihnen und zugleich ein Gegenüber, mahnend und mutig,. Keiner kann so tun, als hätte man ihn nicht gesehen, ihn nicht gehört, sein Leiden nicht erkannt. Er steht wie ein lebendiges Mahnmal vor ihren Augen. Ach, hätten sie doch ein Einsehen mit ihm und mit Gott! Würden sie doch merken, was dieses Leid bedeutet! Es würde sich endlich etwas ändern.
Jeremia hat keine Wahl. Das Prophetenamt war ihm von Gott zugedacht, noch bevor er geboren wurde. Und: Er ist keineswegs freudig überrascht oder gar stolz auf seine Aussonderung und Berufung. Stattdessen quälen ihn Angst und Selbstzweifel. Er fühlt sich zu jung und zu unerfahren. Er spürt die Ambivalenz der Begegnung mit Gott. Das Schicksal eines Unheilspropheten schreckt ihn ab. Er weiß: Es ist nicht einfach, Menschen unangenehme Wahrheiten zu sagen. Jeremia fürchtet die Missachtung durch seine Volksgenossen, er fürchtet Einsamkeit und Verfolgung.
Gott zieht seine Berufung angesichts von Jeremias Angst nicht zurück. Aber er nimmt seine Angst ernst und setzt ihr sein göttliches Versprechen entgegen:
Fürchte dich nicht vor den Reaktionen der Menschen. Denn ich bin bei dir und werde es nicht zulassen, dass Menschen dich mundtot machen. Ich, dein Gott, will dich erretten!
Und wie zur Bestätigung besiegelt Gott seine Berufung, indem er seine Hand auf Jeremias Mund legt. Damit stärkt er die Gewissheit des Propheten: Gottes Wort geht auf ihn über. Ab jetzt wird es seinen Geist und seinen Mund inspirieren. Gottes Gericht will Menschen letztendlich nicht vernichten, sondern retten.
Pfarrer Andreas Smidt-Schellong
Wochenlied am 9. Sonntag nach Trinitatis, EG 397:
2. Es ist ja, Herr, dein G’schenk und Gab mein Leib und Seel und was ich hab in diesem armen Leben.Damit ich’s brauch zum Lobe dein, zu Nutz und Dienst des Nächsten mein, wollst mir dein Gnade geben.Behüt mich, Herr, vor falscher Lehr, des Satans Mord und Lügen wehr; in allem Kreuz erhalte mich,auf dass ich’s trag geduldiglich. Herr Jesu Christ, mein Herr und Gott, mein Herr und Gott, tröst mir mein Herz in Todesnot.