An(ge)dacht zum Israelsonntag am 21.8.2022

Wer gehört zum Volk Gottes?

Israel ist das erwählte Volk. Gott hat es zu seinem Volk gemacht und es durch die Geschichte geleitet. Das Alte Testament erzählt dies in tausend Geschichten und Erfahrungen. Israel steht unter Gottes Schutz und in der besonderen Berufung Gottes. Ein Jude ist sich dessen immer bewusst.

Und so erinnert Paulus, ein Jude, ein Pharisäer sogar, seine Mitchrist*innen als erstes daran. Immer wieder weist er in seinen Briefen darauf hin. Er, der Apostel der Heiden, erinnert an die Erwählung dieses kleinen Volkes Israel. Den selbstbewussten Menschen in der Hauptstadt des römischen Weltreiches ruft er das politisch drittklassige Provinzvölkchen in Erinnerung.

Denn Gott selbst hat es sich erwählt und hat diesem Volk durch alle Jahrhunderte immer wieder seinen Willen offenbart. Am Sinai gab er ihm die zehn Gebote. In diesem Volk standen die Propheten auf. Sie haben von Gott gesprochen und seine Verheißungen verkündet. Israel konnte es hören. Und aus diesem Volk kommt der Erlöser. Der verheißene Messias kommt am Rande der damals bekannten Welt in diesem kleinen Volk zur Welt. Die Verheißungen gehen in Erfüllung. Was die Propheten vorhergesagt, ereignet sich. Gott schickt seinen Sohn. Und der wird nicht als Sohn des Kaisers in Rom geboren, sondern erblickt in einer Kleinstadt in einer unbedeutenden Provinz das Licht der Welt. Jesus wird als Jude geboren, von einer jüdischen Mutter und durch die Beschneidung in den Bund Gottes mit diesem Volk aufgenommen. Jesus betet im jüdischen Tempel zu seinem Vater. Er lebt als Jude unter Juden mit Juden. Er geht in die Synagogengottesdienste und predigt dort. Mit seinen Jünger*innen, alles Juden, zieht er durch das jüdische Land.

Natürlich sind nicht alle Juden ihm gefolgt oder haben an ihn geglaubt. Trotz der Verheißungen haben sie in Jesus nicht den Christus erkennen können. Obwohl sie an den Vater glauben, haben nicht alle den Sohn erkannt, haben sie den Messias nicht aufnehmen können, sondern Fanatiker haben ihn in Zusammenarbeit mit den herrschenden Römern ans Kreuz gebracht.

Aber ist das eine Schuld des jüdischen Volkes, des ganzen jüdischen Volkes?

Anders herum gefragt: Welches Volk ist denn als ganzes christlich geworden? Sehen wir uns doch in unserem christlich geprägten Land um. Heidnische Beschwörungsrituale, Teufelskult, Totenbeschwörung und Magie feiern fröhlich Urstände. Das Heidentum ist unserem Volk leider immer noch nicht fremd. Wäre Jesus in unserem Volk nicht auch umgebracht worden? Vielleicht auf einem Scheiterhaufen der Ketzerprozesse? Vielleicht in Auschwitz?

Gott hat das Volk Israel erwählt und zu seinem Volk gemacht. „Was Gott aus Gnade geschenkt hat, das nimmt er nicht zurück. Und wen er einmal berufen hat, der bleibt es.“ (Röm 11,29) Gott hat keinen tragischen Irrtum begangen, der seinem Sohn das Leben kostete. Sondern Gott hat gewusst, auf was er sich einlässt.

Gottes Plan ist die Erlösung der Menschen. Erlösung aus Gnade um des Verdienstes seines Sohnes willen. Diese Erlösung hat der Sohn Gottes aus dem Volk Gottes in Kreuz und Auferstehung erwirkt. Er hat sie allen erwirkt, die ungehorsam gegen Gott sind, weil niemand immer gehorsam gegen Gott sein kann.

So sind wir als Christinnen und Christen im Ungehorsam, in der mangelnden Beachtung der Gebote und des Willens Gottes Juden gleichgestellt. Und so sind wir denn in der verheißenen Erlösung Juden gleichgestellt. „Was Gott aus Gnade geschenkt hat, das nimmt er nicht zurück. Und wen er einmal berufen hat, der bleibt es.“ Gott hat sich aller erbarmt. Die Menschen aus diesem erwählten Volk Israel sind unsere Schwestern und Brüder im Ungehorsam und unsere Schwestern und Brüder im Erbarmen Gottes. Gemeinsam gehören wir zum Volk Gottes.

Einen gesegneten Sabbat und Sonntag und eine gute Woche wünsche ich Ihnen!
Ihr Pfarrer Johannes Beer

(Abbildung: Davidstern und Kreuz aus Äthiopien, © Johannes Beer)