An(ge)dacht am Sonntag Exaudi, den 16. Mai 2021

Pfarrer Andreas Smidt-Schellong

Liebe Gemeinde,

der heutige Sonntag heißt „Exaudi“ und hat mit dem Hören zu tun. „Herr, höre meine Stimme, wenn ich rufe! Sei mir gnädig und antworte mir!“ lautet ein Vers im Wochenpsalm (Ps 27,7), der diesem Sonntag seinen Namen gibt.

Der für heute vorgesehene Predigttext aus dem Johannesevangelium hat auf den ersten Blick gar nichts mit Hören und Antworten zu tun. Oder vielleicht doch? Wir werden sehen.

Johannes 7,37-39

37 Am letzten und höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! 38 Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. 39 Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.

Es ist das jüdische Laubhüttenfest, bei dem Jesus diese Worte sagt. Bis heute feiern gläubige Juden und Jüdinnen dieses Fest in Erinnerung an den Auszug aus Ägypten. Jedes Jahr eine Woche lang, Ende September bis Anfang Oktober. Es fällt also in die Zeit unseres Erntedankfestes.

Beim Laubhüttenfest erinnern sie sich daran, wie ihre Vorfahren seinerzeit unter Moses Führung aus Ägypten zogen ins Land der Freiheit, „in ein Land, wo Milch und Honig fließen“. In jener Zeit wohnten sie in provisorischen Laubhütten – nach oben hin durchsichtig und transparent, ohne ein stabiles Dach über dem Kopf, nur notdürftig gegen Wind und Wetter geschützt.

Der Sinn und die Bedeutung dieses Festes wird so beschrieben: Die Kinder Gottes, die Nachkom-men der Israeliten aus jener Zeit, die die Befreiung nicht selbst erlebt haben, sollen es lernen, ihre Geschichte nachzuvollziehen. Sie sollen sich dessen bewusst sein, dass ihre Väter und Mütter auch in der Wüste von Gott beschützt und behütet wurden. Sie sollen merken, dass man auch in noch so festen Burgen der Gefahr ausgesetzt bleibt und dort womöglich tief unglücklich ist, während man in unbeständigen Hütten froh und glücklich sein kann. Deshalb sollen sie jahraus, jahrein eine ganze Woche ihres Lebens symbolisch in Hütten leben, so wie das umherziehende Volk in der Wüste. Sie sollen ihre festen Häuser verlassen und unter dem zerbrechlichen Dach der Hütte wohnen, durch das die Sterne am Himmel hineinscheinen. Das soll ihnen das Gefühl für die Vergänglichkeit alles Zeitlichen vermitteln. Das soll ihren Glauben an Gott und ihr Vertrauen in ihn festigen.[1]

Hier erleben jüdische Menschen bis heute also hautnah etwas davon, wie es damals bei ihren Vorfahren auf der Wüstenwanderung gewesen sein mag: Man ist Gott gefühlt näher als in festen Häusern. Entscheidend ist dabei der freiwillige Verzicht auf Sicherheit. Es tut der Seele gut, einmal loszulassen von all den Vorsichtsmaßnahmen, mit denen Menschen das Leben absichern. Weniger davon kann viel mehr sein! Es tut gut, sich zu vergegenwärtigen, was unser Leben wirklich trägt und Bestand hat. Daran erinnert das Laubhüttenfest.[2]

Zurück zu unserem Abschnitt aus Johannes 7. Jesus spricht an diesem großen Tag des Festes die Dürstenden an und lädt sie ein: „Wenn einer dürstet, komme er zu mir und trinke.“ Nicht zum Tempel lädt er ein, sondern zu sich selbst und zum Glauben an ihn. Er in seiner Person verkörpert das, was die Menschen im Tempel suchen. Es geht nicht um den Durst nach Trinkwasser, sondern um einen tieferen Durst.

Dabei darf natürlich nicht übersehen werden: Menschen haben Durst, jeden Tag, ganz real. Wo es zu wenig Wasser gibt, da verdursten Menschen.

Trotzdem spricht Jesus hier von diesem tieferen Durst, von der Sehnsucht, die die Menschen in ihrem Inneren bewegt. Letztlich handelt es sich um den Durst nach Gott und dem von ihm geschenkten unvergänglichen Leben.

Im Johannesevangelium versteht Jesus seine gesamte Sendung in der Welt unter diesem Vorzeichen, das Leben heißt: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben in Fülle haben“ (Joh 10,10). „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich“ (Joh 14,6). Nur in der Beziehung zu Jesus wird für Menschen Gott als Vater erfahrbar und zugänglich. Das wahre Leben kann man nur in der Beziehung zu Jesus erfahren. Er nimmt den Durst der Menschen nach dem Leben wahr und kann ihn stillen.

Was dabei die Beziehung betrifft, können wir nun doch eine Verbindung herstellen zum Thema dieses Sonntags: Gott hört und antwortet auf den Ruf der Menschen nach lebensnotwendigem Wasser.

In diesem Sinn spricht Jesus auch mit der Samariterin am Jakobsbrunnen. Er sagt ihr: „Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen; wer aber von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt“ (Joh 4,13-14).

Jesus offenbart sich der Samaritanerin als Geber, der ihren tieferen Durst stillen kann. Auffällig ist die Art und Weise, wie seine Gabe wirksam wird. Denn das Wasser, das Jesus schenkt, wird zur Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt. Jesus bewirkt, dass dem Menschen die Quelle des Lebens geschenkt und dass diese Quelle im Menschen selbst wirksam wird.

Auch am Laubhüttenfest begründet Jesus seine Zusage, nämlich dass der Dürstende bei ihm trinken kann, mit dem Hinweis auf die Quelle: Ströme lebendigen Wassers werden von dem innersten Leib fließen.

Das Johannesevangelium erklärt weiter, dass lebendiges Wasser ein Sinnbild für den Geist ist, für den Geist Jesu, für Gottes Heiligen Geist. Diesen können auch die an Jesus Glaubenden empfangen. Diese Einladung Jesu gilt auch uns. Unser Durst nach Leben kann nur in einer Beziehung gestillt werden, in Beziehung zu Jesus. Denn er schenkt uns die Quelle des Lebens, seinen unsterblichen und lebendig machenden Geist. Nehmen wir die Einladung Jesu dankbar an und geben wir in uns den Raum für seinen Geist, für die sprudelnde Quelle des Lebens.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag und alles Gute für die neue Woche, im Blick auf Pfingsten!

Pfarrer Andreas Smidt-Schellong


[1]Vgl. S. Ph. de Vries, Jüdische Riten und Symbole, Hamburg 1990, Seite 104.

[2]3. Mose 23,34 ff.

Quelle Bild:

https://www.google.de/search?q=laubh%C3%BCttenfest%20bilder&tbm=isch&hl=de&sa=X&ved=0CB8QtI8BKAFqFwoTCPi3juTbyPACFQAAAAAdAAAAABBG&biw=1606&bih=966#imgrc=9Y4uOfXltPWbpM

Ha Galil

Während der Festwoche des jüdischen Laubhüttenfestes werden alle Mahlzeiten in der Laubhütte eingenommen.