Die elf Jünger aber gingen nach Galiläa, auf den Berg, wohin Jesus sie befohlen hatte. Und als sie ihn sahen, warfen sie sich nieder; einige aber zweifelten. Und Jesus trat zu ihnen und sprach: „Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes, und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Und nachdem er dies gesagt hatte, da kam eine Wolke vom Himmel, hob Jesus empor und trug ihn davon.
Petrus und Thomas hatten den Kopf in den Nacken gelegt und sahen der Wolke hinterher – Petrus die Arme vor der Brust verschränkt, mit einem leichten Lächeln im Mundwinkel, Thomas den Unterkiefer voller – nunja, Ungläubigkeit, daher ja auch sein Spitzname – hängend, in den Himmel starrend, noch nicht fassen könnend, was gerade passiert war.
Die Anderen waren schon wieder auf dem Weg den Berg hinunter, zurück in die Stadt – es gab viel zu tun. Nur die beiden standen noch an dem Ort, an dem es passierte.
Thomas schluckte trocken. Sein Mund fühlte sich sandig an vom langen Offenstehen.
„Ja – und jetzt?“
Petrus, genau wie Thomas noch immer den Kopf im Nacken, sah ihn mit einem Auge an. „Wie und jetzt, jetzt ist er weg. Siehst Du doch“.
Thomas nickte kaum merklich und antwortete: „Ja, das sehe ich auch, mir ging es mehr um die Frage, was wir jetzt machen sollen – also wir, die wir nicht weg sind“.
Petrus senkte endlich den Kopf. Seine Schultern knackten kurz vom langen Starren. Er sah Thomas mit einer Mischung aus Verwunderung und leichter Belustigung an. „Das hast Du doch gehört“ sagte er zu Thomas, „er hat es doch laut und deutlich gesagt was wir machen sollen: ‚Geht in alle Welt und tauft alle Leute auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes!‘“
Thomas senkte auch den Kopf und stieß Luft in einem rauchigen Lachen aus der Kehle über diesen Witz. Aber als er den Kopf Petrus zuwandte und die Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht sah, fror das Lachen in seinen Zügen. „Ja, aber, das hat er ja nicht…“ stammelte er, „das kann er ja nicht ernst gemeint… also nicht in dem Sinne, dass wir, wirklich wir jetzt raus in alle Welt gehen und die Leute taufen. Das ist doch Quatsch. Oder?“
Petrus verschränkte wieder die Arme vor der Brust, sah sich einmal demonstrativ um und hob dann eine Augenbraue. „Ich glaube schon, dass er uns gemeint hat, Thomas. Ich sehe hier nämlich sonst keinen anderen“.
Thomas riss die Augen voller Panik auf. „Wir!?“ bellte er, „Bist Du verrückt!? Wir waren in unserem ganzen Leben noch nie mehr als 10 Kilometer von Zuhause weg! Wie willst Du das denn bitte machen? Wie willst Du denn da hinkommen, in alle Welt!?“
Petrug zog, die Arme immer noch vor der Brust verschränkt, die Mundwinkel nach unten und die Schultern nach oben. „Das weiß ich auch noch nicht. Aber wenn Jesus gesagt hat, dass das der Plan ist, dann werden wir das schon irgendwie hinkriegen“.
Thomas war mittlerweile in der Fassungslosigkeit angekommen. „Was für ein Plan? Das klappt niemals!“ er schrie jetzt fast. „Und selbst wenn wir die Reise überleben – was willst Du den Leuten denn erzählen? Hallo, ich bin Petrus“ äffte Thomas ihn wenig schmeichelhaft nach „ich komme im Auftrag eines Mannes, der sich hat umbringen lassen und dann wieder lebendig geworden ist, und der jetzt gesagt hat, dass ich Sie taufen soll – hätten Sie was dagegen? Hörst Du nicht wie absolut bescheuert das klingt!?“
Petrus ließ langsam die Arme sinken und sah Thomas das erste Mal in ihrem Gespräch mit so etwas wie Sorge an. „Was meinst Du denn jetzt mit bescheuert? Du warst doch da, Du hast doch alles gesehen und weißt, dass das wahr ist, und dass alles genau so passiert ist.“
„Ja, ICH war da!“ Jetzt schrie Thomas wirklich, die Panik ließ seine Stimme zittern und von den nahen Felsen wiederhallen. „ICH hab das gesehen! Aber die Leute, denen wir das jetzt erzählen sollen, die waren halt nicht da und haben das nicht gesehen. Das glaubt uns doch niemand, das klingt doch völlig bescheuert!“
Petrus schüttelte lachend den Kopf. Thomas. Immer der Ungläubige, immer voller Zweifel.
„Keine Ahnung, klingt wirklich schwierig“ sagte er ruhig, „aber ich glaube wenn er will, dass wir das machen, dann wird er schon dafür sorgen dass wir nicht völlig auf verlorenem Posten stehen. Also los jetzt, es wird spät.“
Thomas zögerte. „Kann es nicht doch etwas anderes bedeuten? Vielleicht wieder eines seiner Gleichnisse, wo es immer um etwas anderes geht, als man im ersten Moment denkt?“ fragte er hoffnungsvoll.
Petrus nahm ihn sanft am Arm und bugsierte ihn behutsam ein Stück Richtung des Weges, der vom Berggipfel hinabführte. „Ich glaube, Thomas, diesesmal meinte er das wirklich so, wie er es gesagt hat“.
Thomas seufzte, setzte sich aber in Bewegung. Die Luft wurde wärmer, die Sonne stieg beständig. Nicht mehr lange, und es würde Mittag sein. „Na gut“, seufzte Thomas und sah Petrus aus den Augenwinkeln an. „Aber wenn es schief geht – ich habs gleich gesagt“.
Liebe Gemeinde,
diese Geschichte steht nicht in der Bibel, aus vielen Gründen, vor allem dem, weil die Evangelien mit der Himmelfahrt Jesu aufhören. Schade, denn das Spannendste für mich war immer die Reaktion der Jüngerinnen und Jünger Jesu nach dessen Abschied auf die schlicht irrwitzige Aufgabe die da vor ihnen liegt, und die sie buchstäblich aus heiterem Himmel erhalten haben.
Jesus hat eigentlich nichts anderes gesagt als das: „So Leute, ich bin weg, ich hab euch aber schonmal alles vorbereitet, seht zu, ihr macht den Rest!“
Und dann war er weg. Und die Jüngerinnen und Jünger standen da und sahen sich ratlos an und sagten: Wie jetzt? Wir – raus aus unserem Land? Leute taufen?
Wenn die junge Kirche damals mehrheitlich so gehandelt hätte wie Thomas in der Geschichte, dann würde jetzt vermutlich keiner von uns diesen Text hier lesen. Unser Glück, dass die junge Kirche damals mehrheitlich von Leuten wie Petrus oder Paulus geleitet wurde, die gegen den Zweifel sagten: „Ja, ich habe jetzt auch keine Ahnung wie das konkret funktionieren soll, aber wir probieren das einfach mal. Wenn Jesus gesagt hat wir sollen das tun, dann wird Gott uns damit schon nicht alleine lassen. Und wenn wir uns irren dann irren wir uns halt, aber dann haben wir es wenigstens versucht.“
Das war ein Wagnis. Ein riesiges. Aber die Kirche lebt von Wagnissen, schon seit ihrer frühsten Jugend an. Und sie hat damals alles auf eine Karte gesetzt – und gewonnen. Denn dieser völlig irre Plan, von: „geht zu anderen Menschen in andere Länder und erzählt ihnen, was ihr erlebt, was ihr gehört und gesehen habt, so schwer es auch zu glauben ist“ – der hat funktioniert und ging auf.
Ich glaube, das ist ein Text und eine Geschichte, die immer noch deswegen aktuell ist, weil auch wir heute noch zu schnell in diesen Modus des Zweifelns geraten. Wie Thomas, der Zweifler. Der die Dinge rational sieht. Das ist ja nichts schlechtes, und Thomas war auch kein Idiot, im Gegenteil. Es ist etwas ganz natürliches, ein Überlebensinstinkt des Menschen, vor einer Aufgabe die Erfolgschancen und die Gefahren gegeneinander abzuwägen. Diese Fähigkeit hat uns groß gemacht als Spezies, und es ist etwas, was wir alle jeden Tag ganz automatisch machen.
Aber diese ganze Sache mit Gott, die ergibt halt nur dann irgendeinen Sinn, wenn man sich manchmal von den menschlichen Vorstellungen davon, was möglich ist und was nicht, verabschiedet. Das ist schwierig, das ist klar – Zweifel haben wir schließlich gelernt, Glaube ist da herausfordernder.
An Himmelfahrt sagt Gott uns deswegen zwei Dinge, die kostbarer nicht sein können: erstens, mit der Taufe gehört ihr dazu – egal was passiert. Und zweitens: Ich bin bei euch, alle Tage, bis ans Ende der Welt.
Wenn man das wirklich ernst nimmt, dann wärmt das, mehr als alles andere. Weil man dann begriffen hat, dass man ein Geschenk erhalten hat, das man niemals kaputtmachen oder verlieren kann.
Das wird vielleicht nicht immer den Zweifel besiegen. Selbst bei Thomas, der zwei Jahre mit Jesus herumgezogen ist und sah, was er vollbringen konnte, hat es manchmal nichts gereicht – das ist menschlich, das gehört vielleicht einfach dazu.
Aber: Was können wir immer dann erreichen, wenn wir die Grenzen des Menschlichen überschreiten, und keine Angst haben müssen, zu fallen.
Eine frohe Himmelfahrt!
Ihr Pfarrer Simon Hillebrecht