Eine Bildmeditation
„Christus ist das Licht!“ Mit diesem Ruf ist in der Osternacht an vielen Orten die feiernde Gemeinde, wenn sie denn in dieser Krise darf, mit der brennenden Osterkerze in die dunkle Kirche eingezogen. „Christus ist das Licht!“ erschallte es in der frühen Dämmerung der Osternacht auf so manchem Friedhof, wo sich die feiernde Gemeinde versammelt hat. „Christus ist das Licht!“ ist der Ruf, der seit altersher in der Dunkelheit der Nacht von Karsamstag auf den kommenden Sonntag die Osterfeiern einleitet. Das Licht der Osterkerze und dieser Ruf bringen das Osterlicht, das Licht der Auferstehung, das Licht des Auferstandenen in die Dunkelheiten dieser Welt.
Auch auf diesem etwas ungewöhnlichem Osterbild erkennen wir das Licht, obwohl sehr viel Dunkelheit auf dem Bild zu sehen ist. Das Licht leuchtet in einem warmen Gelbton durch den Ausgang, dem eine Treppe aus der Dunkelheit des tiefen Loches entgegenführt. Das Licht taucht in die Tiefe fallend die Treppenstufen immerhin noch in einen dämmrigen Schein und reflektiert leicht an den vorstehenden Felsen der Seite. Dies Licht auf diesem Bild erinnert mich an das aufkommende Licht des Ostermorgens, das in eine dunkle Kirche fällt oder immer mehr den schattigen Friedhof erhellt. Das Licht auf diesem Bild erinnert mich an das warme Licht, das in tiefe kalte Höhlen fällt, das in kühle Felsgräber hineinscheint. Es ist das Licht, das in unsere Dunkelheiten fällt, das in unsere dunklen Löcher hineinscheint.
Leider gibt es in unserem Leben viel zu viele Dunkelheiten. All zu oft sitzen wir in einem dunklen Loch. Denken wir nur an Krankheiten, die uns manchmal ganz gefangen nehmen. Denken wir an die Corona-Pandemie, die unser Leben bestimmt hat und noch bestimmt. Die vielen Einschränkungen und Schutzmaßnahmen, die notwendig und sinnvoll, aber sicher nicht schön waren, die uns viel Leichtigkeit und Fröhlichkeit genommen haben, gerade auch zum Osterfest. Denken wir dabei aber besonders auch an die Covid-19-Erkrankten, an die, die sich nach einem schweren Verlauf wieder mühsam ins Leben zurückkämpfen. Und wir denken an all diejenigen, die daran verstorben sind. Und noch immer greift das Virus um sich und zieht eine tödliche Spur hinter sich her.
Aber auch die anderen Krankheiten sind ja geblieben und werfen Menschen und ihre Angehörige immer wieder in tiefe Löcher: Herzinfarkte oder Krebs zum Beispiel, Alzheimer oder Depressionen oder oder oder. Es gibt so viele schreckliche Schicksale und so viele Betroffene und Angehörige.
Und auch das Sterben und der Tod ist ein dunkles Loch. Immer wieder stehen wir an Gräbern von geliebten Menschen. Immer wieder haben wir sie im Sterben begleitet und schließlich zu Grabe getragen. Immer wieder haben wir geweint und unser Blick ging in die Vergangenheit während die Zukunft tränenverschleiert war. Dies alles sind Dunkelheiten des Lebens, die wir erkennen und durchleiden müssen, bis wir schließlich selbst zum Sterben kommen und von anderen zu Grabe getragen werden.
Auch Jesus hat all dies durchlebt und durchlitten, obwohl er doch Gottes Sohn war. Er hat sich ganz und gar den Regeln und den Schwierigkeiten dieser Welt unterworfen. Das begann mit dem Liegen in der harten Krippe und der anschließenden Verfolgung und Flucht, die Jesus als Kind durchleben musste, und endete erst im Tod am Kreuz und dem anschließenden Begrabensein. Und dazwischen hat Jesus viel Krankheit und Elend gesehen und erlebt. Er ist an Sterbebetten und an Gräbern gewesen.
Aber etwas war doch anders: Schon in seinem irdischen Leben war Jesus das Licht der Welt. Er hat es verkündet und in einem der sieben Ich-bin-Worte damit einen Teil seiner Göttlichkeit bezeugt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben“ Jesus hat dies Licht den Menschen, die ihm begegnet sind, nicht nur in seinen Predigten spüren lassen, sondern auch in seinem Tun. Er hat Kranke geheilt und dabei Blinden das Augenlicht geschenkt. Er hat Menschen, die durch verschiedenste Erkrankungen und Behinderungen in Resignation, Verzweiflung und tiefen dunklen Löchern festsaßen, sein Licht geschenkt und sie aus diesen Dunkelheiten herausgeführt. Er hat ihnen, wie auf unserem Bild, den Weg heraus aus dem dunklen Loch beleuchtet. Und dies hat er selbst mit Verstorbenen gemacht. Die Tochter des Jairus und den Jüngling von Naïn hat er ins Leben zurückgerufen und den Eltern ihre Kinder zurückgegeben. Lazarus schließlich war schon Tage begraben, als Jesus zu seinem Grab kam. Die Bibel ist da drastisch, in dem sie den Verwesungsgeruch erwähnt. Aber Jesus ruft auch ihn ins Leben zurück. Sein Licht leuchtete schon damals in die Gräber. Und so können wir uns vorstellen, dass Lazarus wie dieser Mensch auf unserem Bild aus dem kalten tiefen Felsgrab ins warme Licht und damit ins Leben zurückkehrt.
Allerdings sind all diese Menschen in das normale Leben zurückgekehrt. Sie sind erneut auf den Tod zugegangen. Wieder haben Menschen um sie geklagt und getrauert und sie zu Grabe getragen. Für sie war der Tod nicht endgültig überwunden, sondern nur herausgeschoben.
Anders wurde das erst am Ostermorgen. In dieser Nacht zu Ostersonntag hat sich alles geändert. Wäre mit dem Begräbnis Jesu alles zu Ende gewesen, wäre auch das Licht, das Jesus in die Welt gebracht hatte, mit seinem Kreuzestod erloschen und im Grab für immer verschlossen. Unser Glaube wäre vergeblich, denn das Licht der Welt gäbe es ja nicht mehr bei uns. „Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen.“ schreibt Paulus an die Gemeinde in Korinth. Und fährt dann fort: „Nun aber ist Christus auferweckt von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind.“
Und genau dies feiern wir heute! Das ist Ostern! Christus ist das Licht, das in unsere Dunkelheiten und tiefe Löcher scheint. Dies Licht gilt uns und leuchtet uns, denn Jesus Christus hat gesagt: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.“
Und so sehen wir auf diesem Bild vielleicht den Ostermorgen und es erinnert uns daran, wie Jesus aus der kalten Tiefe des Todes in Gottes Licht ging. Mehr aber sehe ich noch in diesem Bild, wie Christus, der das Licht ist, in unsere Dunkelheiten leuchtet. Wir werden von seinem Licht erfasst in allen Krankheiten und auch der Corona-Pandemie mit all ihren Folgen. Wir werden von seinem Licht erfasst in allen Schicksalsschlägen und bei jeder Sterbebegleitung und bei aller Trauer. Jesus leuchtet uns mit seinem warmen Licht und schenkt immer wieder Hoffnung, so dass wir die dunkle Treppe, die aus dem kalten tiefen Loch heraus zum warmen Licht, zu seinem Licht führt, gehen können. Das ist sicher nicht immer leicht und kein fröhlicher Osterspaziergang, aber es ist der Osterweg, zu dem Jesus Christus die Kraft schenkt.
Und dann, wenn wir selbst zum Sterben kommen? Wie ist es dann? Wird uns dann Christus als das Licht leuchten?
Es gibt eine ganze Reihe von sogenannten Nahtodberichten, also Berichten von Menschen, die klinisch tot waren, aber wieder ins Leben zurückgeholt werden konnten. Diese erzählen oft von einem dunklen Tunnel, der zum Licht hin führt, zu einem warmen Licht, das sie mit göttlicher Liebe erwartet.
Als ich damals in dieser kalten dunklen Höhle, in der das Bild entstanden ist, am Fuße der Treppe stand und zum warmen Licht aufblickte, musste ich an genau so einen Nahtodbericht eines Freundes denken. Ich weiß nicht, ob es im Sterben wirklich so sein wird, aber ich bin mir ganz sicher, dass dies ein wunderbares Bild für meine Hoffnung und meinen Glauben ist. Ich weiß, dass ich eines Tages sterben werde, aber ich weiß auch, dass Jesus Christus das Licht der Welt ist und dass, wer ihm nachfolgt, nicht in der Finsternis wandeln wird, sondern das Licht des Lebens haben wird. Ich glaube fest, dass ich dann mit allen, die vorangegangen sind, mit Jesus Christus in seinem Licht, in Gottes Reich leben werde. Deshalb singe ich so gerne am Ostermorgen in der Dunkelheit der Kirche oder auf dem nächtlichen Friedhof oder auch alleine den uralten Ruf: „Christus ist das Licht! – Gott sei ewig Dank!“ Amen.
Gesegnete Ostern wünscht Ihnen Pfarrer Johannes Beer
(Bild: Johannes Beer: Ins Licht, 2010/2020)