An(ge)dacht am 2. Sonntag nach Ostern (18.4.2021)

von Pfrn. Dr. Gabi Kern

Liebe Gemeinde,

„Singt dem HERRN ein neues Lied, denn er tut Wunder.“ Das Lied „Der schöne Ostertag“ von Jürgen Henkys ist ein solches neues Lied, eines der jüngeren Osterlieder, das unter der Nr. 117 Eingang in unser Evangelisches Gesangbuch gefunden hat.

Ich mag dieses Lied. Da ist zum einen seine leichte, beschwingte Melodie, in der sich die Osterfreude im Durchschreiten von mehr als einer Oktave Tonumfang Raum verschafft.
Im mittleren Teil sind die Tonschritte kleiner, etwas bedächtiger und laden geradezu dazu ein, auf der Textebene des Liedes etwas zu bedenken oder zu erwägen. Im letzten Teil dann steigt die Melodie in einer sich wiederholenden Tonfolge nach oben, schraubt sich himmelwärts, um in einem abschließenden langen Bogen wieder auf dem Grundton zu landen, sich zu erden.

Neben der einladenden Melodie spricht mich aber auch sein Text an, die Bilder, in denen hier die Botschaft von Ostern in aller Klarheit zur Sprache gebracht wird:

(eg 117,1) Der schöne Ostertag! Ihr Menschen, kommt ins Helle! Christ, der begraben lag, brach heut aus seiner Zelle. Wär vorm Gefängnis noch der schwere Stein vorhanden, so glaubten wir umsonst. Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden.

„Corona hat die Welt fest im Griff“, so liest und hört man allerorten, und in der Tat, so ist es: Das Virus – und damit im Grunde die Angst vor Krankheit und Tod – hat die Welt im Griff. Und mit ihr die Welt jedes Einzelnen. Unser Leben ist nicht mehr so, wie es einmal war, und niemand weiß, ob es jemals wieder so sein wird. Die Lage ist für viele Menschen im Moment irgendwie aussichtslos.

Die beiden Emmausjünger, von denen im Lukas-Evangelium (Lk 24,13-35) berichtet wird, konnten den Ort ihrer Hoffnungslosigkeit wenigstens verlassen. Sie hatten zumindest einander und konnten weggehen, fort von dem, was da so schwer auf ihnen lastete. Wir dagegen haben Ostern in diesem Jahr zum zweiten Mal überwiegend auf uns allein gestellt feiern müssen – zum Teil mit Kontaktverbot und Ausgangssperren. Wir sitzen selber wie gefangen und warten darauf, dass dieser schwere Stein, der uns vom Leben und voneinander trennt, endlich weggewälzt wird.

Und dann höre ich den Ruf dieses Liedes: „Der schöne Ostertag! Ihr Menschen, kommt ins Helle!“ Der Liederdichter ruft uns heraus, heraus aus dem Dunkel ins Helle, aus der Isolation in die Gemeinschaft der Gläubigen. Und er beschreibt Ostern als Befreiung aus dem Gefängnis: Christ, der begraben lag, brach heut aus seiner Zelle. Im Hintergrund höre ich die Botschaft des Engels: Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten? Er ist auferstanden, er ist nicht hier.

Kann ich heute, in meinem Gefängnis den Worten des Engels trauen? Wage ich mich, bildlich gesprochen, aus dem Dunkeln ins Helle?

Dem Tod bin ich schon oft begegnet, der Auferstehung noch nie. Da geht’s mir ganz ähnlich wie den Emmausjüngern. Die können mit der Botschaft von Ostern zunächst auch nicht viel anfangen: Sie fühlen sich in Aufregung versetzt durch den Bericht einiger Frauen, die behaupteten, sie seien frühmorgens am Grab gewesen, hätten Jesu Leichnam aber nicht finden können: „Wir haben Engel gesehen. Die haben uns gesagt, dass Jesus lebt!“ Einige sind sofort zum Grab gelaufen. Sie fanden alles so vor, wie die Frauen gesagt haben – aber Jesus selbst haben sie nicht gesehen.

Ich frage mich, was hätte ich an Stelle der Emmausjünger getan. Und so weit hergeholt ist die Frage gar nicht, denn im Grunde geht es uns ja ganz genauso wie ihnen. Wir hören die Botschaft von anderen, wir haben das Zeugnis der Alten – und es ist an uns, uns dazu zu verhalten.

Nach allem, was einen die Erfahrung lehrt, habe ich volles Verständnis für die Emmausjünger, die da zunächst lieber kapitulieren und das Weite suchen. Denn mit der Botschaft von Ostern geht es schließlich um Alles oder Nichts. Die Botschaft von der Auferstehung Jesu ist kein schönes Extra unseres Glaubens, mit ihr steht oder fällt alles. Angesichts der faktischen Macht und Allgegenwart des Todes, die wir in diesen Zeiten in ihren verschiedenen Facetten so hautnah zu spüren bekommen wie nie zuvor in unserer Generation, da muss die Botschaft von Ostern tragen – oder wir sind verloren. Dann glaubten wir umsonst.

Ich persönlich merke, wie ich zunehmend empfindlich werde gegen allzu oberflächliche, weichgespülte Deutungen der christlichen Auferstehungshoffnung. Die früher oft gehörten Sprüche von einer „Auferstehung mitten am Tag“ vermögen mich kaum noch zu überzeugen; auch nicht so gutgemeinte Richtigkeiten wie: die Zeit heilt alle Wunden, er oder sie wird in unseren Herzen weiterleben, nach jedem Winter kommt ein neuer Frühling, das Leben geht weiter. Sicher, alles richtig, aber: Das reicht mir nicht. Dafür brauche ich nicht den christlichen Glauben, wenn am Ende mit dem Tod doch alles aus ist.

Auferstehung, wie die Bibel sie bezeugt, ist da von gänzlich anderer Art. Auferstehung hat eine andere Qualität. Sie lässt sich nicht in uns bekannte Worte oder Erfahrungen fassen. Sie ist ohne Zeit, ohne Vorbehalt, ohne jähes Erwachen. Auferstehung ist real und sie ist gültig, oder es ist nicht Auferstehung. Auferstehung, wie die Bibel sie bezeugt, ist keine billige Vertröstung, kein Symbol, kein Bild für Aufstand, Neubeginn oder Hoffnung, sie ist keine Chiffre für etwas anderes und kein Traum von Menschen. Die Auferstehung Jesu von den Toten, wie die Bibel sie bezeugt, ist nicht weniger als das bis dahin nie dagewesene und letztgültige Eingreifen Gottes in den Lauf der Dinge – alles andere wäre belanglos.

Wär vorm Gefängnis noch der schwere Stein vorhanden, so glaubten wir umsonst.

Schon der Apostel Paulus schreibt im 1. Korintherbrief:

„Ist aber Christus nicht auferstanden, so ist unsre Predigt vergeblich, so ist auch euer Glaube vergeblich. Hoffen wir allein in diesem Leben auf Christus, so sind wir die elendesten unter allen Menschen. Nun aber ist Christus auferstanden von den Toten als Erstling unter denen, die entschlafen sind. Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten.“ (1 Kor 15,17-21)

Auferstehung, so wie die Bibel sie bezeugt, ist somit Verheißung und Wirklichkeit zugleich. Eine Wirklichkeit, die jetzt schon die Kraft hat, alles zu verändern.

(eg 117,2-3) Was euch auch niederwirft, Schuld, Krankheit, Flut und Beben – er, den ihr lieben dürft, trug euer Kreuz ins Leben. Läg er noch immer, wo die Frauen ihn nicht fanden, so kämpften wir umsonst. Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden.

Muss ich von hier nach dort – er hat den Weg erlitten. Der Fluss reißt mich nicht fort, seit Jesus ihn durchschritten. Wär er geblieben, wo des Todes Wellen branden, so hofften wir umsonst. Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden.

Drei Mal wird in diesem Lied allen möglichen Einwänden und Bedenken stattgegeben: „Wär vorm Gefängnis noch der schwere Stein vorhanden, so glaubten wir umsonst“, „Läg er noch immer, wo die Frauen ihn nicht fanden, so kämpften wir umsonst“, „Wär er geblieben, wo des Todes Wellen branden, so hofften wir umsonst.“

Doch gleich zwölfmal, und darin höre ich in Anlehnung an die zwölf Jünger die Fülle und die Gesamtheit des biblischen Zeugnisses, gleich zwölf Mal steht dem die unverrückbare Botschaft von der tatsächlichen Auferstehung Jesu von den Toten entgegen. Ja, sie hämmert sich gleichsam in den zweifelnden Kopf und ins rastlose Herz: „Doch nun ist er erstanden, erstanden, erstanden, erstanden.“ – „Warum seid ihr so begriffsstutzig?“, fragt Jesus die beiden Emmausjünger.

Unser Glauben, Kämpfen und Hoffen sind nicht umsonst. Weder Schuld, Krankheit, Flut und Beben, ja nicht einmal mehr der Tod können uns seit Ostern mehr etwas anhaben. Sie sind da, ja, sie sind Teil unserer Wirklichkeit und wir müssen durch sie hindurch, an ihnen führt kein Weg vorbei, aber wir werden in ihnen nicht untergehen. Sie sind Teil unserer Wirklichkeit, aber sie sind nicht mehr die ganze Wirklichkeit.

„er, den ihr lieben dürft, trug euer Kreuz ins Leben“ – bei der Wahl zwischen Leben und Tod hat Gott für uns in Christus das Leben angekreuzt. Ich sage bewusst: In Christus. Auf Christus „bezogen“ werde ich auferstehen, nicht losgelöst von ihm, weil Christus in mir ist und ich in ihm.

„Wisst ihr nicht“, schreibt Paulus an anderer Stelle, „dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, damit, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, auch wir in einem neuen Leben wandeln.“ (Röm 6,3-4)

Mehr braucht ein Mensch nicht. Mehr braucht ein Mensch nicht fürs Erste. Das andere, das Neue, das Ewige – das ist dann eine andere Geschichte.

Auch bei den Emmausjüngern braucht’s seine Zeit, bis diese Botschaft sie erreicht. Vor allem aber braucht es die persönliche Begegnung mit dem Auferstandenen.

Ich wünsche Ihnen und mir immer wieder die Erfahrung, dass der Auferstandene unerwartet und vielleicht zunächst auch unerkannt unsere Wege kreuzt, uns Orientierung schenkt und uns stärkt, so dass auch wir im Nachhinein seine Gegenwart erkennen und unser Herz in uns brennt. Das muss nicht in der Osterzeit sein. Aber wann immer es sich ereignet, ist Ostern.

Amen.