An(ge)dacht zum 2. Advent, den 8.12.2024

„Komm, tröst uns hier im Jammertal!“

Liebe Leserin und lieber Leser!

„O Heiland, reiß die Himmel auf…“: Heute möchte ich mit Ihnen gerne dem Wochenlied EG 7 für den 2. Advent auf die Spur gehen.

Friedrich Spee, der Dichter dieses Liedes, wurde 1591 in Kaiserswerth bei Düsseldorf geboren. Er bekommt eine gute Schulausbildung und wird katholischer Priester. Mit 19 Jahren geht er nach Trier und tritt gegen den Willen seiner Eltern in den Jesuitenorden ein. Als dort die Pest ausbricht, zieht er nach Fulda und legt dort sein erstes Gelübde ab. Spee wünscht sich, als Missionar nach Indien zu gehen, doch sein Orden erteilt keine Erlaubnis dafür. Stattdessen studiert er in Würzburg und Mainz Philosophie und Theologie und erhält 1623 seine Priesterweihe im Mainzer Dom. Später kommt er noch viel herum, etwa als Dozent in Speyer und Paderborn. Sein Lied „O Heiland, reiß die Himmel auf“ hat er 1622 gedichtet.

Mit 27 erlebt er den Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges und leidet unter der zunehmenden Verschlechterung der Moral im Land, unter der Ausbreitung von Gewalt und sozialer Verelendung. Armut, Krankheit, Pest und Tod gehen um in Europa. Bis 1648 wurde dieser Krieg im Namen der Konfessionen zwischen katholischen und protestantischen Fürsten geführt. Die letzten Kriegsjahre hat Friedrich Spee nicht mehr erlebt.

Als er sein Lied schreibt, steht der Krieg noch am Anfang. Er dichtet die Sehnsucht nach Frieden und Trost in seine Zeilen hinein: Komm, tröst uns hier im Jammertal!“ – „In Finsternis wir alle sein.“ – „Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod.“

Der Religionskrieg geht mit Hexenverfolgungen einher. Von Jugend auf hatte Spee Hinrichtungen von Frauen als Hexen miterlebt. In späteren Jahren steht er den angeklagten Frauen und Männern als Seelsorger bei Verhören und Folterungen bei. „Sie waren durch Verleumdung oder willkürliche Umstände in die Mühlen der Hexengerichtsbarkeit geraten“ überliefert Spee. „Es waren Todesurteile, die auf übler Nachrede beruhten, auf unter Folter erpressten Geständnissen. Todesurteile, gesprochen im Namen des dreieinigen Gottes!“

Spee verfasst das Buch „Cautio criminalis“[1]gegen den Hexenwahn, eine „sorgfältige Untersuchung“ über das Unrecht der Prozesse. Dies war ein skandalöser Verstoß gegen das geltende Kirchenrecht seinerzeit. Freunde von ihm geben seine Schrift 1631 ohne sein Wissen anonym in Druck. Die Anonymität ist wichtig wegen der drohenden Lebensgefahr. Vermutlich wäre er sonst selbst auf dem Scheiterhaufen gelandet. Sein Buch verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Schon bald wird gemunkelt, dass es von ihm stammen könnte.

Er hatte Folgendes geschrieben: „Ehe die Angeklagte gefoltert wird, führt der Henker sie zur Seite und besieht sie genau, ob sie sich etwa durch Zauberkraft unempfindlich gemacht habe. (…) Dann wird sie gefoltert, damit sie die Wahrheit sage, das heißt, sich als eine Zauberin bekennen soll. (…) Wenn der Anfang mit der Folter gemacht ist, so hat man das Spiel gewonnen, sie muss bekennen, sie muss sterben. (…) Bekennt sie, so ist die Sache klar, und sie wird getötet, denn Widerruf gilt hier nicht. Bekennt sie nicht, so martert man sie zum zweiten, dritten und vierten Mal… Und am Ende sagt man einfach, der Teufel habe ihr den Hals gebrochen.“

Seine Adventsliedstrophen geben eine Vorstellung der damaligen Verhältnisse: „Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod.“ So weit der zeitgeschichtliche Hintergrund dieses Liedes.

Spees Vorgesetzte im Jesuitenorden sind selbst tief in Hexenprozesse verstrickt. Sie schicken ihn, um ihn loszuwerden, ins Kriegs- und Seuchengebiet nach Trier zum Betreuungseinsatz bei Kranken und Kriegsverletzten. Er infiziert sich mit Pest und stirbt im Sommer 1635.

Mit seiner adventlichen Klage beschreibt der dichtende Priester die allgemeine Sehnsucht nach Leben in Gerechtigkeit, nach Menschlichkeit, nach Heil und Erlösung.

Übertragen auf die heutige Weltlage brauchen wir auch den Raum für adventliche Klage. Sowohl Terror und kriegerische Gewalt als auch der drohende Verlust von Demokratie und vielfältigem Leben machen sprachlos, um nur diese Beispiele zu nennen. Angesichts der gegenwärtigen Entwicklungen möge der Advent eine Zeit sein, die Sehnsucht nach dem Reich Gottes einzuüben und neu zu lernen.

Eine Frage zum Schluss: Begehen wir den Advent „nur“ als Vorweihnachtszeit oder stärken wir in diesen Wochen unsere Hoffnung, dass die Welt durch die Geburt Jesu, des Erlösers, einst erlöst sein wird?

O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd, dass Berg und Tal grün alles werd!“ Wo die Sehnsucht nach dem Reich Gottes wach bleibt, da schläft auch die Sehnsucht nach gelingender Gemeinschaft, nach Wertschätzung, Toleranz und Zivilcourage nicht ein – ebenso wie die nach Erlösung.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten 2. Advent!

   Ihr Andreas Smidt-Schellong

O Heiland, reiß die Himmel auf: Wochenlied am 2. Advent, EG 7

2. O Gott, ein‘ Tau vom Himmel gieß, im Tau herab, o Heiland, fließ.

Ihr Wolken, brecht und regnet aus den König über Jakobs Haus.

3. O Erd, schlag aus, schlag aus, o Erd, dass Berg und Tal grün alles werd.

O Erd, herfür dies Blümlein bring, o Heiland, aus der Erden spring.

4. Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt, darauf sie all ihr Hoffnung stellt?

O komm, ach komm vom höchsten Saal, komm, tröst uns hier im Jammertal.

5. O klare Sonn, du schöner Stern, dich wollten wir anschauen gern;
o Sonn, geh auf, ohn deinen Schein in Finsternis wir alle sein.

6. Hier leiden wir die größte Not, vor Augen steht der ewig Tod.
Ach komm, führ uns mit starker Hand vom Elend zu dem Vaterland.

7. Da wollen wir all danken dir, unserm Erlöser, für und für;
da wollen wir all loben dich zu aller Zeit und ewiglich.

Text: Strophen 1-6 Friedrich Spee 1622; Strophe 7 bei David Gregor Corner 1631

Melodie: Köln 1638, Augsburg 1666


[1]Friedrich Spee, Cautio criminalis seu de processibus contra sagas liber, Rinteln 1631

Notengrafik: pixabay