An(ge)dacht zum 2. Sonntag nach Trinitatis (18.6.2023)

von Pfrn. Dr. Gabi Kern

Liebe Gemeinde,
wohl niemand, der Kinder hat, wird von dieser nerven- und kraftraubenden Frage in seinem Leben verschont. Manchmal hat sie durchaus komische Seiten. – Manchmal. Meistens ertönt dieser sirenenhafte Ruf, kaum dass das Auto, die Bahn oder womit auch immer Sie unterwegs sind, gerade gestartet ist. Und dann kann es sich ziehen … „Wann sind wir da?“

Das ist ja eigentlich nicht wirklich eine Frage. Vater und Mutter sind froh, endlich den Stress des Packens hinter sich zu haben und sich einzustimmen auf die schönsten Wochen des Jahres. Dem fragenden Kind auf dem Rücksitz ist langweilig, oder es hat schlicht keine Lust, oder, oder, oder … Zeit ist eben etwas sehr Relatives. Sie wird sehr unterschiedlich wahrgenommen. Dabei ist sie objektiv betrachtet wie Sand, der uns durch die Finger rinnt, stets im gleichen Tempo, unaufhaltsam.

Wann sind wir da? – Die Kinderfrage ist vielleicht doch nicht so dumm, wenn wir sie einmal aus der Stresssituation Aufbruch oder Heimfahrt herausnehmen und grundsätzlich bedenken.
Wenn wir sie zum Anlass nehmen, über uns und unsere Lebenszeit nachzudenken. Über die Aufteilung in Arbeit und Freizeit und deren Gewichtung. Über erfüllte Zeit und verpasste Zeit.
Über Trauerzeiten und solche, in denen vor Glück die Zeit stillzustehen scheint. Über Urlaubszeiten und Sonntage.

„Alles hat seine Zeit“, so lesen wir in der Bibel im Buch Prediger (Kap. 3). Allerdings: Gottes Uhren gehen anders, er folgt einer anderen Zeiteinteilung. „1000 Jahre sind vor dir, Gott, wie ein Tag“, heißt es in den Psalmen (Psalm 90,4). Da ist die Maßeinheit schon etwas grober. Nicht umsonst heißt Er darum ja auch der Ewige.

Und dann gibt es da noch so eine spannende Wann-Frage im Neuen Testament: Wann kommt das Reich Gottes? So fragen die Jünger. Sie haben im Kopf: Das Alte geht zu Ende! Dann beginnt die neue Welt Gottes, in der alles anders ist. Und sie wollen nun von Jesus wissen: Wann sind wir da? Wann kommt das Reich Gottes?

Und Jesus gibt eine verblüffende Antwort: Es ist längst da! Im Keim, in seinen Wurzeln. Es ist wie bei einer Urlaubsreise: Die Fahrt gehört zum Urlaub mit dazu. Wir haben das Alte bereits hinter uns gelassen, auch wenn wir noch nicht am Ziel angekommen sind. Genauso funktioniert christlicher Glaube in seiner Spannung zwischen „schon“ und „noch nicht“. Das Alte liegt hinter uns, und wir, wir sind schon unterwegs als Reisende, als Pilger auf die Vollendung des Reiches Gottes hin, wie sie die ganze Bibel uns verspricht. Wir sind unterwegs, mit unserem Glauben im Gepäck und hoffentlich ganz viel Liebe und Hoffnung im Tank. Denn schon auf der Fahrt gibt es so viel zu entdecken. Das Reich Gottes ist schon erkennbar, wo Menschen im Gesicht eines anderen nicht den Feind, sondern den Bruder oder die Schwester entdecken. Wo in einem Sandkorn noch das glitzernde Puzzlestück einer großartigen Schöpfung zu finden ist. Wo wir selbst uns neu finden und gehalten wissen von dem, der alles Leben schuf und getröstet werden. Da sind wir längst da. Da wird das Wann zum Jetzt. „Heute, wenn ihr seine Stimme hört, so verschließt eure Herzen nicht“, heißt es in der Bibel (Hebräer 3,7-8).

Aber was heißt überhaupt „da“? Was macht denn unser Da-Sein aus? Ist es nur flüchtig und vergänglich, wie wir so oft meinen? Welche Spuren hinterlassen wir? Die Pharaonen haben sich für ihr Da-Sein schon frühzeitig Pyramiden als Grabmäler bauen lassen, die noch heute zu bestaunen sind. Beeindruckend, aber was ist in 10.000 Jahren oder in 100.000 Jahren?

Die Frage nach dem Da-Sein führt über die Spurensuche bzw. Spurensicherung zu einem erstaunlichen anderen Ergebnis, dem Namen Gottes. Er stellt sich dem Mose im brennenden Dornbusch vor als „der, der da ist“. Im Hebräischen ist es zugleich „der, der da sein wird“ (2. Mose 3,14). Er ist der Ich-bin-da. So wie es uns auch Jesus Christus verspricht: „Siehe, ich bin bei euch, alle Tage bis an der Welt Ende.“ (Matthäus 28,20)

Ganz am Ende, wenn es einmal heißt: Sie haben Ihr Ziel erreicht, dann werden wir nicht irgendwo in der Wüste in einer Grabkammer liegen, sondern bei Gott sein und leben. Eines Tages, am Ende der Zeit. Denn wo Gott ist, da zählt keine Zeit mehr. Weil er Leben schenken kann, selbst über den Tod hinaus.

Bis dahin lasst uns fröhlich unsere Lebensreise fortsetzen, denn wenn wir auch nicht wissen, wann wir da sind – wir wissen: Er ist da, Er ist längst an unserer Seite und geht mit – das genügt.
Amen.

(Bild: N. Schwarz © GemeindebriefDruckerei.de)