An(ge)dacht am Sonntag Judika, den 26. März 2023

Liebe Leserin und lieber Leser!
Nicht nur Sonnenblumen, sondern viele Pflanzen öffnen ihren Blütenkelch zum Licht, um keinen
Sonnenstrahl zu verpassen. Einen Platz an der Sonne haben: Strebt nicht jeder mal nach solch einem Platz, wo man optimal im Licht ist, wo man Aufmerksamkeit und Anerkennung bekommt? Wo es Ansehen gibt und man gesehen wird? Darum geht es in einem der biblischen Texte für den heutigen Sonntag Judika:

Die beiden Jünger Jakobus und Johannes konfrontieren Jesus mit ihrem Wunsch und sprechen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. Jesus aber sagte zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das zu geben steht mir nicht zu, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. Als die zehn anderen Jünger das hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. Die beiden Jünger wollen sich die besten Plätze neben Jesus verschaffen. „Was für eine peinliche, unverschämte Bitte!“ könnte man meinen. „Haben sie keine christliche Bescheidenheit?“ Das finden die anderen zehn Jünger. Sie reagieren ungehalten. Es knistert zwischen ihnen. Doch Jesus weist Jakobus‘ und Johannes‘ Bitte um die besten Plätze nicht zurück. Für ihn ist es nicht unanständig, wenn Menschen solche Phantasien und Gedanken haben. Bestand ein Teil seines Wirkens doch gerade darin, Platz zu schaffen und Plätze anzuweisen. Platz in seiner unmittelbaren Nähe für die, die sonst keinen hatten. Weil sie am Rand waren, gemieden und verachtet. Jesus als Platzanweiser: Er gibt den Kranken Platz und Würde, wenn er sie heilt. Dem Zöllner Zachäus gibt er Platz und Anerkennung, als er an dessen Tisch Platz nimmt, nachdem alle anderen ihm die Gemeinschaft verwehrten. Er verschafft der Ehebrecherin einen Platz und Recht, indem er sich zu ihr stellt und ihr das Leben rettet, als die anderen Steine auf sie werfen wollen: Sie bleibt nicht verworfen, sondern kann ihr Leben neu in die Hand nehmen. So konkret hatten Jakobus und Johannes das kommende Reich der Herrlichkeit vor Augen. Wer sollte ihnen ihr Anliegen übel nehmen? Sie wünschen sich einen Platz an der Christus-Sonne. Dort, wo sein Licht das Dunkle in der Welt vertreibt; dort, wo die Wärme der Gottesliebe Herzenskälte überwindet und wo alle Tränen getrocknet werden. Könnten wir es nicht auch mutig nennen, dass sie ihren Wunsch offen und ehrlich aussprechen? Jesus weist ihre Bitte jedenfalls nicht ab und reagiert verständnisvoll. Gleichzeitig rückt er ihren Wunsch deutlich zurecht durch korrigierende Gegenfragen: „Wisst ihr eigentlich, was ihr da bittet? Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?“ Damit spielt er auf seinen baldigen Tod am Kreuz an. Wisst ihr, was euch bevorsteht? Wisst ihr, was ihr auf euch nehmen müsst? Es zieht euch in die Nähe von dem, der sich ohnmächtig der Gewalt seiner Gegner ergeben wird. Es treibt euch in die Nähe dessen, der den vollen, bitteren Kelch des Leidens trinken wird. Könnt ihr das?Wollt ihr das wirklich? Seid ihr dazu bereit? Vollmundig erwidern die beiden: „Ja, das können wir!“ Jesus stellt das nicht in Frage. Er sagt nicht: Jetzt habt ihr gut reden, aber wartet nur ab, bis es ernst wird… Nein, er lässt ihr Bekenntnis gelten. Und sagt ihnen voraus: Ihr nehmt Schweres auf euch, weil ihr euch zu mir bekennt! Jesus ruft auch die anderen Jünger zu sich und sagt ihnen klar und deutlich: Ihr wisst: Die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele. Markus 10, 42-45 Das ist die Antwort Jesu. Sie stellt die gewohnten Maßstäbe auf den Kopf. Bei ihm gelten im Blick auf das Reich Gottes andere Maßstäbe. Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. In der alltäglichen Welt hingegen ist es so, dass die Machthabenden ihre Macht auch zeigen und andere dies spüren lassen. Mit oft unschönen, unterdrückerischen Methoden. Die Jüngerinnen Jesu und die Menschen, die seinerzeit im Römischen Reich lebten, wussten, wovon er redet.
Jesus setzt dem andere Maßstäbe entgegen. Wer einen besonders guten Platz haben will, sorge
dafür, dass anderen diese Möglichkeit ebenfalls gewährt wird. Den Kranken, dem Zachäus und der
Ehebrecherin, wie wir eben sahen. Jesus öffnet neue Perspektiven, neue Räume und Wege. Mit
neuen Maßstäben. Das versprechen sich die Jünger von ihm, darum folgen sie ihm nach, vertrauen
ihm, hoffen auf ihn.
Am Ende bleibt die Bitte der beiden Jünger unerfüllt. Stattdessen stellt Jesus ihren Wunsch in einen anderen Zusammenhang. „Wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein.“
Dienen heißt: Menschen beistehen und sie unterstützen, ihnen Würde und Beachtung, Anerkennung und Ansehen geben, wenn sie aus eigener Kraft keine Erfolgschance haben auf der Jagd nach dem, was als „guter Platz“ gilt.
Der heutige Sonntag heißt Judika: Richte mich. (Psalm 43,1) In Bezug auf die beiden Jünger Jakobus und Johannes ergänzen wir jetzt: Richte mich zu! Richte mir einen Platz zu, der mir zukommt.
Dieser Platz ist frei für alle Jüngerinnen und Jünger Jesu, die ihm nachfolgen. Ja, dieser Platz ist
schon zugerichtet. Für dich, für mich, für uns alle. An diesem Platz sind wir die Bedienten, weil
Jesus sich selbst hingegeben hat als Diener. Wer diese Zusage so hört und sie beherzigt, mag sich
freuen über diese Rangordnung: Wir sind die Bedienten.
Darum können auch wir dienen, können Brücken bauen und die Menschen um uns herum mit
barmherzigen, mit warmherzigen Augen sehen.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag,


Ihr Andreas Smidt-Schellong


Verse aus Psalm 43, dem Wochenpsalm am Sonntag Judika:
Sende dein Licht und deine Wahrheit,
dass sie mich leiten und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung,
dass ich hineingehe zum Altar Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist,
und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.
Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

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