An(ge)dacht zum 12. Sonntag nach Trinitatis, 18.08.2024

„Es gibt eine stille Sprache der Tränen,

die von niemandem

auch nicht von den Engeln

gehört und verstanden wird

außer von Gott.“

Kornelis Heiko Miskotte

2. Könige 20, 1 – 5

„Zu dieser Zeit wurde Hiskia todkrank.

Und der Prophet Jesaja, der Sohn des Amoz,

kam zu ihm und sprach zu ihm:

So spricht der HERR:

Bestelle dein Haus,

denn du wirst sterben und nicht am Leben bleiben. 

2 Er aber wandte sein Antlitz zur Wand

und betete zum HERRN und sprach: 

3 Ach, HERR, gedenke doch,

dass ich vor dir in Treue und mit rechtschaffenem Herzen gewandelt bin

und getan habe, was dir wohlgefällt.

Und Hiskia weinte sehr.“ 

4 Als aber Jesaja noch nicht zum mittleren Hof hinausgegangen war,

kam des HERRN Wort zu ihm: 

5 Kehre um und sage Hiskia, dem Fürsten meines Volks:

So spricht der HERR, der Gott deines Vaters David:

Ich habe dein Gebet gehört und deine Tränen gesehen.

Siehe, ich will dich gesund machen…

– am dritten Tage wirst du hinauf in das Haus des HERRN gehen –, “

Liebe Gemeinde!

„Er aber wandte sein Antlitz zur Wand…“

Ein Mensch zieht sich in sich selbst zurück. Will niemanden mehr sehen oder sprechen. Es handelt sich dabei um einen Menschen, der gerade erfahren hatte, dass er sehr bald sterben wird.

Diese Konfrontation mit dem eigenen baldigen Tode führte bei ihm dazu, sich zu isolieren,  denn aufgrund dieser Todesgewissheit trennte ihn nun von den Lebenden mehr als ihn noch mit jenen verband.

So lag er für sich – mit dem Gesicht zur Wand – und versuchte mit dem fertig zu werden, was ihm Jesaja auf sehr nüchterne Weise gerade eröffnet hatte. (Man hätte sich mehr Mitgefühl von diesem Propheten gewünscht.)

Dieser schien auch das Krankenzimmer nach dieser Eröffnung bald verlassen zu haben, sicherlich auch deswegen, weil er die Geste des Königs richtig deutete – er war im Moment nicht erwünscht.

Insofern nehme ich an, dass Jesaja nichts davon mitbekam, dass der Mann, dem er gerade seinen baldigen Tod angekündigt hatte, bitterlich weinte.

Die Tränen des Hiskias waren Tränen der Einsamkeit und Zeichen seiner tiefen Verzweiflung.

Aus diesen Gründen weinen zu müssen, ist sehr anstrengend und kraftraubend – die Kehle fühlt sich an wie zugeschnürt und begleitet wird das Weinen von einem nie gekannten Ausmaß an Angst.

Die Bibel gibt uns mit diesem Abschnitt aus den Königsbücher einen Einblick in das Innerste eines Todgeweihten.

Wir wissen nicht, wie lange Hiskia mit dem Gesicht zur Wand in seinem Bett lag, ob es Stunden oder Minuten waren, in denen er weinte und bis er sich dazu entschloss, mit seinem Gott zu sprechen.

Und das, was er seinem Gott zu sagen hatte, ist schon sehr bemerkenswert – und wie ich hinzufügen möchte – auch sehr kühn!

Denn der Hiskia dankte Gott nicht für die zurückliegenden Jahre seines Lebens und er bat auch nicht um ein seliges Ende.

Nein, Hiskia bat Gott um die Abwendung der Todesgefahr – und zwar trotz des Gotteswortes!

Dazu gehört viel Vertrauen in die Barmherzigkeit und Güte seines Gottes.

Vielleicht erinnerte sich Hiskia während seines Gebetes auch daran, dass Gott schon in der Vorzeit Beschlüsse, die er gefasst hatte, wieder änderte.

Hiskia bekam recht in seinem Vertrauen; sein Gebet wurde erhört!

Denn so antwortete ihm Gott:

„Ich habe dein Gebet erhört und deine Tränen gesehen

Siehe, ich will dich gesund machen

– am dritten Tage wirst du hinauf in das Haus des HERRN gehen –,“

Wir könnten diese Zeiteinheit „am dritten Tag“ schnell überlesen.

Das sollten wir nicht tun! Denn mit ihr wird innerhalb der Schrift ein wichtiges Signal gegeben:

Der dritte Tag ist in der Bibel immer der Tag, an dem sich alles wandelt.

Der dritte Tag ist der Tag, an dem Gott heilsam wirkt.

Kein Mensch – außer unser Gott –  sah an jenem Tag die Tränen des Königs Hiskia – und vielleicht wollte sie auch niemand sehen, denn was hätte man ihm schon tröstend sagen können.

Das drohende Ereignis des Todes lässt eine Welt ohne Gott sprachlos werden.

Nun – 

die Heilige Schrift hingegen  verkündet trostvoll, dass es sich bei unserem Gott um einen Gott handelt, der die einsamen und verzweifelten Tränen eines Menschen sah, sich davon berühren ließ, die Macht dazu besaß und gewillt war, sein Leid zu wenden.  

Amen.

Pfarrerin Gabriele Steinmeier