So geistreich wie sein Geist reicht?
Manchmal heißt es von einem Menschen, der einen schlechten Witz gemacht oder eine Situationskomik nicht erfasst hat oder einfach in einem Gespräch nicht mehr mitkommt, dass er eben nur so geistreich sei, wie sein Geist reicht. Gemeint ist damit dann spöttisch, dass dieser Mensch eben zu dumm oder zu schlicht ist und nicht auf dem gleichen geistigen Niveau sich bewegt wie die anderen. Natürlich spielt hier überhebliche Arroganz nicht nur mit, sondern prägt das Denken über und die Sicht auf den Nächsten. Solche Bemerkungen können verletzend sein. Und sie sagen viel über den Geist desjenigen aus, der diese Bemerkung macht. Sie zeigen, wodurch sein Geist geprägt ist.
Nun möchte Paulus im Galaterbrief, dass auch wir durch einen Geist geprägt werden und dass unser Geist durch diesen Geist geformt wird. Und natürlich ist damit nicht die Geisteskraft gemeint, die durch den Intellekt hervorgerufen und durch stetiges Denken geschliffen wird. Selbstverständlich spricht Paulus hier vom Geist Gottes, der uns von Gott geschenkt wird. Dieser Geist ist kein Verdienst und kann durch nichts erworben werden. Er ist eine Gabe Gottes, die uns bereits in der Taufe verliehen und zugesagt wird.
Allerdings ist es durchaus eine Frage, ob wir diesen geschenkten Geist annehmen und unser Leben durch ihn prägen lassen. Es ist nicht selbstverständlich, dass unser Denken und Handeln durch diesen Geist gelenkt wird. Und so ermahnt Paulus am Ende des Galaterbriefes seine damaligen Leserinnen und Leser genauso wie uns heute, eben dieses zu tun.
Im Zentrum dieser Ermahnung steht der bekannte Vers: „Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.“ Und wir wissen, dass wir alle etwas haben, was schwer auf den Schultern, schwer auf dem Herzen lastet. Dann ist es eine Hilfe, wenn jemand anderes mit anfasst und zupackt. Manchmal ist das ganz direkt und geradezu wörtlich mit der Last. Manchmal ist es schon etwas mehr übertragen, bleibt aber noch ganz praktisch. Da ist zum Beispiel jemand krank, liegt mit Fieber im Bett. Und ein anderer kümmert sich um ihn, bringt etwas zu trinken, gibt die Medizin und so weiter. Manchmal ist es aber auch ganz im übertragenen Sinne. Da ist vielleicht jemand traurig oder verzweifelt. Und dann findet sich einer zum Gespräch, hört zu, tröstet oder nimmt einfach in den Arm. All das ist Tragen der Last des anderen.
In vielen Geschichten und Erzählungen der Evangelien wird noch eine ganz andere Dimension des Lastentragens deutlich. Seinen Zeitgenossen trat Jesus direkt gegenüber und ließ sie erkennen was er meinte. Und sie spürten Gottes Liebe. Da waren zum Beispiel die Freunde des Gelähmten. Sie trugen die Last des Gelähmten auf ihren Schultern und brachten diese Last zu Jesus. Da sie aber diesen wegen der vielen anderen nicht zu Jesus bringen konnten, machten sie ein Loch in das Dach und seilten ihren gelähmten Freund ab. Sie haben in eindringlicher Weise ihre Last zu Jesu Füßen gelegt.
Jesus versteht die Bitte. Er wendet sich dem Kranken zu. Die Last ist vor seine Augen gekommen. Der Hilfeschrei hat ihn erreicht. Und er hilft. Er sagt zu dem Gelähmten „Deine Sünden sind dir vergeben.“ Das ist etwas anderes, als es alle erwartet hatten. Aber so ist es bei Jesus. Gott hört unser Gebet, ja er erhört es und er nimmt die schwerste Last von unseren Schultern. Er hat uns die Befreiung von der Sündenlast geschenkt, so dass wir leben können zeitlich und ewiglich. Und eben das macht uns frei, jede Form der Last mitzutragen oder zu tragen. Eben dadurch können wir uns den anderen zuwenden und die Last des anderen tragen. Sei es ganz direkt, sei es durch praktische Hilfe, sei es im übertragenen Sinne.
Das relativiert auch unsere Selbsteinschätzung. So wissen wir doch alle, dass wir die Sündenvergebung und den Geist ohne unsere Verdienste geschenkt bekommen haben. Wir alle sind begnadete Sünder und haben darum keinen Grund, uns über andere zu erheben. Ganz im Gegenteil. So sind wir alle so geistreich wie sein Geist reicht, wie Gottes Geist reicht.
Einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche wünsche ich Ihnen!
Ihr Pfarrer Johannes Beer