An(ge)dacht zum Sonntag nach St. Johannis, 26. Juni 2022

Mit ausgestrecktem Zeigefinger!

Freitag war der 24. Juni. Dies ist zum einen ein wichtiges Datum der Landwirtschaft: z.B. kann nur bis zu diesem Tag Spargel gestochen werden. Zum anderen ist der 24. Juni ein heidnischer Festtag aus dem Jahr des Sonnenkalenders: die Mitsommernachtsfeier, die in nordischen Ländern im Brauchtum fortlebt. Bei uns, zum Beispiel an den Externsteinen, feiert dieses Fest fröhliche heidnische Urstände. Aber der 24. Juni ist auch der Gedenktag Johannes des Täufers. Der Tradition nach ist er sechs Monate vor Jesus geboren, also feiern wir sein Fest ein halbes Jahr vor Weihnachten.

Der Spruch dieses Tages steht beim Evangelisten Johannes im 3. Kapitel: „Dies ist das Zeugnis Johannes des Täufers: Er muss wachsen, ich aber muss abnehmen.“

Auf dem Isenheimer Altar von Matthias Grünewald steht unter dem Kreuz Jesu ein einsamer Mann. Johannes der Täufer ist hier, wie in so vielen Kreuzigungsdarstellungen, gezeigt. Aber er ist außergewöhnlich gemalt. Johannes der Täufer hat auf diesem Bild die rechte Hand erhoben und den Zeigefinger weit ausgestreckt. Er deutet auf den Gekreuzigten. Dieser ausgestreckte Zeigefinger, der die Bewegung des ganzen Körpers aufnimmt, ist nach anatomischen Maßstäben zu lang. Dieser Finger ist überdimensional und auffällig. Das Besondere dieses Johannes liegt in seinem hinweisenden Zeigefinger.

Wer aber war denn dieser Johannes überhaupt, über den uns die Bibel und sein jüdischer Zeitgenosse, der Historiker Flavius Josephus, berichten?

Johannes zieht als wandernder Prediger durchs Land. Er hat dem weltlichen Leben abgeschworen und sich aus der Zivilisation der Städte zurückgezogen in die Einsamkeit der Wüste. Statt der üppigen Braten isst er Heuschrecken. Heutzutage äße er sicher vegetarische Vollwertkost. Statt des berauschenden Weins trinkt er einen Saft, der aus Wasser mit Wildhonig besteht. Heutzutage könnte man ihn den Blaukreuzlern zurechnen. Statt der weichen Kleider aus angenehmen Stoffen trägt er einen Umhang aus Kamelhaaren, der wie der Gebetsschal des frommen Juden mit einem Ledergürtel zusammengehalten wird. So bietet Johannes unseren Augen und Ohren ein eigentümliches Bild, mit dem sich schon seit Jahrhunderten die Phantasie ausgiebig beschäftigt. Das einfache Leben in der Wüste, das uns so fremd ist, wurde ausgeschmückt. Johannes war und ist wohl auch noch der Idealtyp des Aussteigers.

Aber den damaligen Menschen war dies Bild gar nicht so fremd. Es gab mehrere solcher Gestalten. Eine ganze Reihe von Predigern zog durch das Land. Ja selbst ganze Klöster, wie z.B. das von Qumran, zogen sich in die selbstgewählte Einsamkeit und Kargheit zurück. Die damalige Bevölkerung war auf der Suche nach einer Gotteserfahrung und auf der Suche nach dem Messias, auf den sie all ihre Hoffnung setzten. Predigern, die sich wie Johannes kleideten und verhielten, wurden von der Menge als Propheten anerkannt. Das Äußere des Predigers war sein Ausweis.

Und Johannes predigt diesen suchenden Menschen. Er fesselt sie mit seiner Rede und versteht es, die Zuhörenden zu interessieren. Aus den Dörfern und Städten kommen Menschen von weit her zu Johannes. Sie hören ihm fasziniert zu und sind wahrhaft tief beeindruckt. Johannes erreicht seine Zuhörenden, wie sich das ein Prediger nur wünschen kann. So sind diese Menschen denn auch bereit, sich von Johannes taufen zu lassen. Als dieser zur Taufe aufruft, folgen seine Zuhörenden der Aufforderung. Sie lassen sich taufen.

Johannes hat die Zeichen der Zeit erkannt. Er weiß, dass die Ankunft des Zukünftigen unmittelbar bevorsteht. Er verkündet den Menschen das Ende der jetzigen Zeit. Das Reich des allseits Erwarteten ist angebrochen, so posaunt es der Täufer in alle Welt. Gottes Herrschaft des Heils ist nahe herbeigekommen. Das ist die freudige Nachricht, die jeder gern hört.

Aber diese Verkündigung ist an einen Anspruch geknüpft. Deshalb predigt Johannes Buße und fordert seine Zuhörenden zur Umkehr auf. Er tut dies ohne Unterschied und ohne Ansehen der Person. Da sollen Alte und Junge, Reiche und Arme, Männer und Frauen ihre Sünden bereuen. Da sollen Fromme und Unfromme in gleicher Weise Buße tun. Da sollen Menschen, die sich bemühen, alle Gebote peinlich genau zu erfüllen, mit den Leichtfertigen zusammen ihre Schuld erkennen und bekennen.

Und eines Tages lässt sich auch Jesus von Johannes taufen. Und der letzte große Prophet sieht die Erfüllung seiner Vorhersage. Da sagt Johannes, was er schon so oft gepredigt hatte. „Ich bin nicht der Christus, sondern vor ihm hergesandt.“ Er weist hin auf den Christus. Er hat den Finger quasi ganz weit ausgestreckt. Alles deutet auf den Messias. Der muss zunehmen an Bedeutung und Wichtigkeit in der Welt. Der Prophet hat mit dem Hinweisen seine Aufgabe erfüllt und muss in seiner persönlichen Bedeutung abnehmen.

Johannes der Täufer ist der letzte Prophet. Wir dürfen bis heute seinem ausgestreckten Zeigefinger folgen, der uns an den Mann am Kreuz und an der Auferstandenen weist. Gottes Reich hat in Jesus mitten unter uns angefangen. Und als Getaufte gehören wir ganz und gar dazu. Sicher sind wir Sünder und müssen immer wieder Buße tun. Aber wir sind erst recht von Gott Erlöste. In der Taufe haben wir ganz persönlich die Vergebung der Sünden von Gott geschenkt bekommen. Johannes der Täufer weist uns daraufhin.

Einen gesegneten Sonntag und eine gute Woche wünsche ich ihnen!
Ihr Pfarrer Johannes Beer

(Bild: Matthias Grünewald: Johannes der Täufer, Ausschnitt aus dem Isenheimer Altar, 1512-1516)