An(ge)dacht zum Sonntag Quasimodogeniti am 24.4.2022

Vom Sehen, Spüren und Glauben …

Zwei Christen sind gemeinsam in einem Auto auf einer Landstraße unterwegs. Mit Blick aus dem Fenster unterhalten sie sich darüber, welche Bäume sich wohl als Gleichnisse eignen könnten, um Wahrheiten des christlichen Glaubens zu verdeutlichen. Darauf sagt der Fahrer des Wagens: „Auch das Auto bietet Gleichnisse…“ – „Welche denn?“ – „Nun es gibt beispielsweise Christinnen und Christen, deren Glaube wie ein Ersatzrad ist. Wenn sie in Not geraten, meinen sie: „Jetzt muss mir der Glaube helfen!“ – Der Beifahrer kann sich nicht enthalten, eine weitere Frage zu stellen: „Und was soll der Glaube deiner Meinung nach sein?“ –
„Das Lenkrad!“

Den Glauben zum Lenkrad unseres Lebens werden zu lassen und sich ganz auf ihn zu stützen, ist alles andere als leicht.

Besonders beispielhaft steht dafür Thomas.

Der Jünger, von dem uns das Johannesevangelium erzählt, hält treu zu Jesus und zieht die anderen Jüngerinnen und Jünger bereits zu Lebzeiten Jesu mit. Gleichwohl ist er aber auch der Jünger, der nicht immer gleich versteht, was Jesus meint.

Die Bibel berichtet uns, dass Thomas beim ersten Besuch des Auferstandenen im Kreis seiner engsten Getreuen nicht anwesend ist. Sie erzählen ihm von Jesu wundersamen Besuch. Doch Thomas braucht mehr als Erzählungen und Berichte. Er muss Christus sehen, mehr noch: Er muss fühlen, er muss die Finger in seine Wunden legen, um zu glauben.

Einige Tage später tritt Jesus auf einmal durch die verschlossene Tür in den Raum; ist plötzlich mitten unter ihnen. Er scheint bereits zu wissen, dass Thomas noch zweifelt. Darum fordert er ihn unvermittelt auf, tatsächlich seine Finger in seine Wunden zu legen. „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig“ mahnt er ihn. Thomas sieht ihn, berührt ihn.

Genau diesen Moment hält der italienische Künstler Michelangelo Merisi da Caravaggio in seinem Gemälde fest. Nicht etwa der auferstandene Christus, sondern Thomas ist im Zentrum dieses Bildes zu sehen.

Mit vor Anspannung gerunzelter Stirn und aufgerissenen Augen lässt er seine Hand von Christus zu dessen Seitenwunde führen. Gespannt wohnen hinter Thomas zwei weitere Jünger diesem Moment bei. Der Körper Christi ist uns als Betrachtenden dabei zugewandt. Wie die beiden Jünger, die hinter Thomas stehen, so dürfen auch wir durch Caravaggio einen Blick erhaschen; dürfen sehen, was uns doch verborgen bleibt.

Die Geschichte des „ungläubigen“ Thomas – wie er auch genannt wird – beschreibt ein Hauptproblem, mit dem sich die ersten christlichen Gemeinden konfrontiert sahen. In der Nachfolge der ersten Jüngerinnen und Jünger versammelten sie sich am Auferstehungstag zum Gottesdienst. Sie sind sich dabei der Gegenwart des Auferstandenen im Glauben gewiss – einem Glauben, dem das Sehen jedoch versagt bleibt.

Wir stellen uns vor, dass bereits in diesen ersten Gottesdiensten der Christenheit genau diese Erzählung von Thomas verlesen wurde.

Sie enthält ein Bekenntnis des Jüngers, der Christus noch einmal sehen, noch einmal berühren durfte. Thomas spricht zu Jesus: „Mein Herr, mein Gott.“

Er sagt diese Worte und bekennt sich dadurch zum Auferstanden. Er bekennt sich zu dem, der wahrer Mensch und wahrer Gott ist. In dieses Bekenntnis kann die gesamte Gemeinde, damals und auch heute, voller Glauben einstimmen. Denn Jesus selbst sagt, dass dem Wort – auch dem Wort der Zeugen seiner Auferstehung – mehr Gewicht zu geben ist als den Zeichen und Wundern, die im Anschluss daran geschahen.

„Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, sagt Christus.

Auch wir versammeln uns als Gemeinde alljährlich zu den verschiedensten Gottesdiensten in der Osterzeit. Wir tun das in dem Glauben daran, dass Gott den Tod besiegt hat; dass uns unsere Sünden nicht angerechnet werden und dass das, was uns von Gott trennte, ein für alle Mal überwunden ist. Wir tun das, indem wir auf die Schrift hören, indem wir gemeinsam singen und beten und einstimmen in die Bekenntnisse der ersten Christinnen und Christen.

Dieser Glaube kann uns als Gemeinde auch durch schwierige Zeiten leiten. Wie für die beiden Christen, die in ihrem Auto unterwegs sind, sollte er uns dabei Lenk- und Steuerrad sein und kein Ersatzreifen. Dabei ist eines unabdingbar: Vertrauen!

Dieses Vertrauen gibt der auferstandene Christus den Jüngerinnen und Jüngern damals selbst. Genau dieses Vertrauen in die Auferstehung haben sie – auch der zunächst zögerliche Thomas – weitergeben und in die Welt getragen. Dreimal beauftragt Jesus Petrus mit dem Satz: „Weide meine Schafe“ und tilgt damit dessen Verleugnung vor der Kreuzigung. Er macht so den Weg frei, auf dass sich die frohe Botschaft, das Evangelium, seinen Weg bahnen kann.

Diese Botschaft Jesu ist zeitlich nicht gebunden. Sie weist weit über den Tag der Auferstehung und sogar über unsere Zeit hinaus. „Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende“, so verspricht es uns der auferstandene Christus. Daraus speist sich unser Glaube an die Auferstehung der Toten und an den Sieg des Lebens über den Tod.

Gottes guter Geist stärkt uns in diesem Glauben und steht uns auch in Zeiten des Zweifelns bei; in Zeiten, in denen wir nur auf Sicht zu fahren scheinen.
Ihm dürfen wir sinnbildlich getrost das Steuer übergeben.

Eine gesegnete Osterzeit wünscht Ihnen
Ihr Vikar Lars-Manuel Stötzel