An(ge)dacht am 8. Sonntag nach Trinitatis (25.7.2021)

von Pfrn. Dr. Gabi Kern

Liebe Gemeinde,

wir leben – dieses Eindrucks kann man sich kaum erwehren – in einem Zeitalter der Krisen. Nahezu auf allen Gebieten scheinen uns die Herausforderungen und Katastrophen derzeit nach und nach einzuholen, sei es im politischen und wirtschaftlichen Bereich, sei es im Blick auf die Gefährdung unserer Gesundheit oder im Blick auf das sich immer stärker wandelnde Klima. Wenn eine Eigenschaft daher zu Recht von all denjenigen gefordert wird, die in diesen Bereichen Macht und Einfluss haben und auf diesen Gebieten kluge Entscheidungen zu treffen haben, dann ist es wohl eine gewisse Krisenfestigkeit.

Wie aber ist es eigentlich um die Krisenfestigkeit unseres eigenen Glaubens bestellt? In Gesprächen habe ich da mitunter den Eindruck, dass es für viele Menschen scheinbar nur zwei Alternativen gibt. Da sind zum Beispiel die einen, die schon lange nichts mehr von Gott wissen wollen: „Immer wenn ich seine Hilfe brauchte, war er offenbar gerade nicht zu sprechen. Nein, ich will von Gott nichts mehr wissen und ich weiß nicht, ob ich mich auf die Menschen verlassen kann. Ich habe da so meine Zweifel. Aber auf Gott verlasse ich mich ganz bestimmt nicht mehr.“ Daneben, und oftmals in derselben Runde, gibt es aber auch die anderen, für die auch die härteste Erfahrung nie ein Grund gewesen ist, Gott den Rücken zu kehren – trotz aller Zweifel. Ihre Haltung ist letzten Endes die der stillen Ergebung: „Gott wird besser wissen, warum manches in meinem Leben so und nicht anders war. Wer bin ich, dass ich mit Gott rechten sollte? Wir müssen uns halt unter unser Kreuz fügen, auch wenn es nicht immer leicht ist.“

Sind diese beiden Haltungen zum Glauben wirklich so alternativlos? Ich für mich persönlich täte mich damit noch schwer, zumal mir in diesem Zusammenhang immer öfter eine biblische Geschichte in den Sinn kommt, die für mich zu den vielleicht wichtigsten Überlieferungen der Bibel gehört.

Es ist die Erzählung eines Kampfes mit Gott. Da wird von einem Menschen mit Namen Jakob erzählt, der sich auf der Flucht befindet. Schuld und Irrwege liegen hinter ihm, er war manchmal verzweifelt und wusste nicht weiter. Dann kommt er mit all denjenigen, die sich in seiner Begleitung befinden, an einen Fluss mit dem Namen Jabbok. In der Nacht versucht er, diesen Fluss zu überqueren. Aber es tritt ihm jemand in den Weg, der einen Kampf mit ihm beginnt. Sie ringen miteinander, und Jakob kann nur dadurch entscheidend geschwächt werden, dass der Gegner ihm die Hüfte ausrenkt. Dennoch: Er gibt nicht auf und er erzwingt, dass der andere ihn bittet: „Lass mich los, die Morgenröte naht!“ Jakob, der Geschlagene, der nach diesem Kampf für alle Zeit hinken wird, sagt zu ihm: „Ich lasse dich nur los, wenn du mich segnest!“ (1. Mose 32,27)

So geschieht es. Jakob wird von seinem nächtlichen Gegner gesegnet. Die Geschichte endet damit, dass er die aufgehende Sonne sieht.

Für mich ist das Hauptmotiv dieser uralten Erzählung, nämlich der Kampf mit Gott, ein immer wichtiger werdender Gedanke, nicht nur in so manch seelsorglicher Begegnung: Wir dürfen mit Gott ringen. So machen es uns übrigens auch die Psalmen vor.

Gott akzeptiert nicht nur unsere stille Ergebung, sondern ebenso unser Ringen mit ihm, wenn er uns etwas Schweres zumutet, wenn er uns in Krisen schickt, die unsere Kräfte zu übersteigen drohen: eine Krankheit etwa, den unerwarteten Verlust eines nahestehenden Menschen, Enttäuschungen und Verletzungen.

Sicher, manche Erfahrungen können uns auch weit von Gott entfernen. Und auch diese Phasen haben ihr Recht und ihre Zeit und hoffentlich am Ende auch ihren Sinn. Aber die alte Geschichte vom nächtlichen Kampf Jakobs ist mir immer wieder eine Hilfe bei dem Gedanken: Es mag sein, dass Gott uns auf die Hüfte schlägt und wir danach zeitlebens hinken müssen. Sein letztes Wort für uns wird jedoch ein Wort des Segens sein. Wenn wir dann zur anderen Seite des Flusses gelangt sind, – wird vor uns und über uns die Sonne aufgehen. Amen.

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