An(ge)dacht zum 2. Sonntag nach Trinitatis am 13.06.2021

Strebt nach den Gaben, die der Heilige Geist schenkt – vor allem aber danach, als Prophet zu reden.

Wer in unbekannten Sprachen redet, spricht nicht zu den Menschen, sondern zu Gott. Denn niemand versteht ihn. Was er unter dem Einfluss des Geistes sagt, bleibt vielmehr ein Geheimnis.

Wer dagegen als Prophet redet, spricht zu den Menschen. Er baut die Gemeinde auf, er ermutigt die Menschen und tröstet sie. Wer in unbekannten Sprachen redet, baut damit nur sich selbst auf. Wer aber als Prophet redet, baut die Gemeinde auf.

Ich wünschte mir, dass ihr alle in unbekannten Sprachen reden könntet. Aber noch lieber wäre es mir, wenn ihr als Propheten reden könntet.

Wer als Prophet redet, ist bedeutender als derjenige, der in unbekannten Sprachen redet –

es sei denn, er deutet seine Rede auch. Das hilft dann mit, die Gemeinde aufzubauen.

          1. Kor 14,1–12, BasisBibel

In diesem – ironischerweise – selbst etwas unverständlichen Text, der aus Paulus’ erstem Brief an die Gemeinde in Korinth stammt, geht es um ein sehr altes Problem der Kirche, das uns heute zu oft so vorkommt, als wäre es ein neues Problem erst unserer Zeit: Ein Verständigungsproblem, das kurz zusammengefasst heißt: Versteht man eigentlich, was wir sagen?

Ein grober Überblick: seit Ende der 80er Jahre wird es ruhiger und leerer in den Kirchen Deutschlands. Immer mehr Menschen treten aus den Kirchen aus, immer weniger treten ein, die Nachwuchsgewinnung ist schon lange stagniert, Konfis werden weniger, christliche Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen nehmen ab, Gruppen und Kreise ebenfalls.

Wenn man Gemeinde oder Kirche fragt, woran das liegt, dann wird der Grund dafür immer schnell bei anderen gesucht: Die „jungen Menschen“ sind oberflächlicher geworden, die interessieren sich einfach für nichts mehr, den meisten geht es ohnehin nur ums Geld, wir leben generell in einer Zeit des Werteverfalls, das soziale Engagement nimmt insgesamt ab und Kirchen leiden gar nicht alleine drunter, es gibt zu viele Mitbewerber auf dem Gebiet des Glaubens und der Lebensdeutung, und so weiter und so fort.

Aber: Seit einigen Jahren reift in der Kirche die Erkenntnis, dass es vielmehr ein kirchliches Verständigungsproblem ist, was all diesen Problemen zugrundeliegt.

Wer in unbekannten Sprachen redet, spricht nicht zu den Menschen, sondern zu Gott.

Denn niemand versteht ihn schreibt Paulus, und bezieht sich damit auf ein Phänomen, das Luther als „Zungenrede“ übersetzt hat. Was genau es damit auf sich hat(te) weiß heute niemand mehr. Seit der Wiederentdeckung der Zungenrede im 18. Jahrhundert versteht man  darunter ein ekstatisches Gebrabbel, das aus dem Menschen strömt, der so derartig ganz und gar vom Geiste Gottes ergriffen ist, dass er verlernt hat, in menschlichen Sprachen zu sprechen – in unseren Landeskirchen kommt das selten vor, in Pfingstkirchen immer mal wieder. Ob das aber daran liegt, dass dort der Geist mehr weht als bei uns, halte ich für ziemlich fraglich.

Paulus jedenfalls ist kein Freund der Zungenrede, denn sie hat ein großes Problem: Sie ist für die umstehenden Menschen (meist) unverständlich. Als großer Kommunikator, dessen Lebenswerk es war, die Botschaft von Christus bis an die Grenzen der damals bekannten Welt zu tragen, war Paulus sehr erpicht darauf, verstanden und ernstgenommen zu werden. Eine innerkirchliche „Geheimsprache“ war diesem Unterfangen abträglich, denn bevor man sich mit Menschen unterhalten könnte, müsste man ihnen zunächst die ganzen kirchlichen Vokabeln beibringen – das war wenig sinnvoll. Deswegen sprach Paulus in einfacher und verständlicher Sprache zu den Menschen, und ermahnte die Gemeinden, es ihm gleich zu tun – denn nur so konnte die Kirche wachsen. Und das tat sie auch, der Weg des Paulus war ein Erfolgsmodell.

Und wir heute? Nun, sagen wir so, wir hatten einen guten Start.

Aber nach einigen Jahrhunderten Reformation, deren Hauptanliegen es immerhin war, die Botschaft Gottes jedem(!) Menschen zugänglich zu machen, nach „wir müssen dem Volk aufs Maul schauen!“ (Luther), nach vielen Predigten in der „Sprache des Volkes“, sind wir seit ein paar Jahrzehnten wieder in der Phase angekommen, wo wir eine kirchliche Geheimsprache pflegen, die außerhalb unserer Gottesdienste und Gemeinden nur noch die wenigsten Menschen verstehen – vor allem, wenn sie nicht so im Schoß der Kirche aufgewachsen sind wie wir.

Wir sprechen zu den Menschen von Sünde und Vergebung, von Himmel und Hölle, wir erzählen von Jesus und dem Teufel, und natürlich reden wir ganz viel über Gott – und erwarten wie selbstverständlich, dass Menschen, die ihr Leben lang kaum oder nur oberflächlichen Kontakt zur Kirche hatten, verstehen, was damit gemeint ist, was wir damit meinen.

Dass diese Rechnung nicht aufgeht, sieht man überall: Menschen besuchen weniger Gottesdienste, weil immer weniger Leute verstehen, was die alten Liturgien und die ziemlich verstaubte Sprache mit ihrem Leben heute zu tun haben soll. Weniger Brautpaare heiraten kirchlich, weil das volkskirchliche Eheverständis nur noch schwer zu erklären ist (und deswegen auch ungerne erklärt wird), und immer mehr Menschen entscheiden sich gegen eine kirchliche Bestattung ihrer Verstorbenen, weil die Sache mit der Auferstehung und dem ewigen Leben zwar fantastisch klingt, dem vorherrschenden Weltbild und allen Erfahrungen, die man als Teil der westlich-aufgeklärten Gesellschaft macht, aber widerspricht. Und warum es immer weniger Konfis gibt, davon müssen wir gar nicht erst anfangen.

Kurz: Wir als Kirche reden zwar viel, aber meist in Zungen; in einer Sprache, die außer uns selbst kaum noch jemand versteht – in Floskeln, Metaphern und Vokabeln, die ihre Kraft schon lange verloren zu haben scheinen. Wir haben ein Verständigungsproblem, ein großes, und das schon ziemlich lange – und immer mehr Menschen hören aus diesem Frust heraus gleich ganz auf, von ihrem Glauben zu sprechen.

Was kann man dagegen nun tun? Auf diese Frage hat Paulus eine Antwort, und die ist, obwohl sie knappe 2000 Jahre alt ist und in unserem Predigttext steht, noch erstaunlich aktuell. Paulus verlangt: Übersetzt eure Worte in die Worte der Menschen, mit denen ihr sprecht. Verschanzt euch nicht hinter Tradition und dem Gestrigen, sondern müht euch, all das, was ihr als Kirche und Gemeinde glaubt und tut, so zu übersetzen, dass es für die Menschen heute anknüpfbar wird. Denn genau dafür habt ihr den Geist Gottes bekommen – also steht ihm nicht im Wege, sondern lasst ihn wehen. Erzählt von eurem Glauben, erzählt, was euch freut und lähmt, was euch Angst macht und wieder Mut finden lässt. Wenn man euch fragt, seid ehrlich, wenn ihr etwas nicht wisst, habt keine Angst „ich weiß es nicht“ zu sagen – denn manche Geheimnisse sind euch verborgen, und damit müssen wir leben. Aber Gottes Geist ist wie Feuer, das in euch brennt – lasst diesen hellen Schein sehen!

Heute müsste man vielleicht nur noch hinzufügen: Überlasst es nicht alleine den Pastor*innen, von Gott und seiner Welt zu erzählen, denn von unserem Glauben sprechen, das können wir alle. Machen wir das. Für Gottes Reich in dieser Welt.

Eine gesegnete Sommerzeit!

          Ihr Pfarrer Simon Hillebrecht