Pfrn. Dr. Gabi Kern
Wer’s glaubt, wird selig … (oder: Gottes schönste Redewendung)
„Wer’s glaubt, wird selig…“, sagt der Volksmund, und meint damit in der Regel nichts Gutes. Wenn uns heute im Alltag dieser Spruch begegnet, dann ist er meist ironisch gemeint. Mit leicht spöttischem Unterton spricht nicht der Glaube, sondern der blanke Unglaube aus diesem Satz: „Das glauben doch nur Naive!“, soll damit gesagt sein. Oder: „Du flunkerst doch!“, „Das stimmt doch nicht!“ Ob denjenigen, die diesen Spruch oft so leichthin im Munde führen, wohl bewusst ist, dass sie damit die Bibel zitieren?
Martin Luther und seiner Übersetzung der Bibel ins Deutsche ist es zu verdanken, dass seit nunmehr 500 Jahren zahlreiche Redewendungen aus der Bibel Eingang in unsere Sprache gefunden haben und dort im Alltagsgebrauch lebendig sind. Egal, ob wir „dem verlorenen Paradies nachtrauern“, ob wir „in jemandes Fußstapfen treten“, jemanden „unter unsere Fittiche nehmen“ oder einfach nur das Glück haben, Menschen an unserer Seite zu haben, mit denen wir „ein Herz und eine Seele“ sind; ob wir „mit unseren Pfunden wuchern“, oder eher zu denen gehören, die „ihr Licht unter den Scheffel stellen“; ob man uns „zum Sündenbock macht“ oder ob wir selbst beim „Tanz ums goldene Kalb“ am liebsten unsere „Hände in Unschuld waschen“ – jeder von uns, das wissen wir, hat so „sein eigenes Kreuz zu tragen“.
Und es ist ja auch schön, wenn die Bibel mit ihren kraftvollen Bildern in unserer Sprache lebendig ist. Zumindest, so muss man wohl ergänzen, solange dies in ihrem eigentlichen Sinne geschieht. Denn was ist, wenn der ursprüngliche Zusammenhang einer biblischen Redewendung in Vergessenheit gerät? Wenn ein Spruch aus der Bibel nicht nur einfach so dahergesagt wird – sei es aus purer Gedankenlosigkeit, sei es aus schlichter Unkenntnis –, sondern wenn er sich in unserem alltäglichen Sprachgebrauch gar in sein Gegenteil verkehrt?
„Wer’s glaubt, wird selig.“ Diese umgangssprachlich gewordene Redewendung stellt eine saloppe Parodie auf einen Vers am Ende des Markusevangeliums dar. Aber wer genau hinschaut, der wird feststellen, dass diese Redewendung nicht nur aus der Bibel stammt, sondern dass sie dort auch genau so gemeint ist: Wer glaubt, was Jesus sagt, der wird selig. Gleich von zwei zentralen Begriffen ist da die Rede: vom Glauben und von der Seligkeit. In Markus 16,16 heißt es: „Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden“.
„Seligkeit“ ist ein altes Wort. Aber das, was damit gemeint ist, ist so aktuell, wie eh und je. Seligkeit meint, dass es in unserem Leben mehr geben muss, als dass wir am Ende eine aufgeräumte Wohnung zurücklassen. Seligkeit meint, dass der Traum von einem erfüllten Leben wahr wird. Dass Welt und Seele Frieden finden. Der Weg dahin, so sagt die Bibel, ist der Glaube: Wer glaubt, wird selig. Wer glaubt, wird bei Gott ankommen. Und zwar nicht erst am Ende seines Weges, sondern bereits im Hier und Jetzt. Ja, wer glaubt, so kann man auch sagen, bei dem ist Gott angekommen, bei dem ist Gott zu seinem Ziel gekommen. – Wer glaubt, wird selig.
Schauen Sie noch einmal genau hin: „Wer’s glaubt, wird selig…“, sagt der Volksmund, und meint damit in der Regel nichts Gutes. „Wer glaubt, wird selig“, sagt die Bibel, und meint damit das Beste, was uns passieren kann. Der Unterschied zwischen der Übersetzung Luthers und der volkstümlichen Redewendung ist das kleine „s“: Wer „es“ glaubt, heißt es in der Redewendung. Das heißt: Wer etwas für wahr hält. Glauben, wie die Bibel es meint, ist aber mehr als nur etwas für wahr halten. Da geht es um Vertrauen. Da geht es um eine lebendige Beziehung. Da geht es darum, Jemanden für wahr zu halten.
„Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“, sagt Jesus Christus, „niemand kommt zum Vater denn durch mich.“ (Joh 14,6) In Jesus Christus ist das ewige Wort Gottes Fleisch geworden. „Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit“, heißt es im Johannesevangelium (Joh 1,14). Wo es um unsere Seligkeit geht, da speist uns Gott nicht mit billigen Floskeln ab – Gott sei Dank! Er, der durch sein Wort eine ganze Welt ins Dasein rief, wie es die Schöpfungserzählung am Anfang der Bibel beschreibt, hat uns in Jesus Christus sein Wort gegeben und mit Ihm sein großes JA zum Menschen bekräftigt.
Wo aber Gott durch Jesus Christus in ein Menschenleben hineinspricht, da bekommt das Leben eine unerwartete Wendung – eine Wendung zum Guten, wie es die vielen Geschichten in den Evangelien bezeugen, in denen Menschen Jesus begegnet sind. „Sprich nur ein Wort, so wird mein Knecht gesund“, sagt da etwa der Hauptmann von Kapernaum (Mt 8,8). Und Petrus bekennt: „Herr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ (Joh 6,68) – Sollte der, der durch sein Wort eine ganze Welt ins Dasein rief, nicht auch für uns das passende Wort haben?
Wenn Gott zu uns spricht, kommt durch sein Reden eine Wendung in unser Leben. Eine Wendung, die uns durch den Glauben zur Seligkeit führen will. Kann es eine schönere Rede-Wendung geben? Nicht: „Wer’s glaubt“, sondern: „Wer glaubt, wird selig.“ – Dass diese abgekürzte Verheißung aus der Bibel für uns wahr wird, das wünsche ich uns allen.
Amen.