2. Passionsandacht am 2.3.2021

„Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein –, so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.“
(Psalm 139,11.12)

Werde munter, mein Gemüte
(von 1642, EG 475)

Werde munter, mein Gemüte,
und ihr Sinne, geht herfür,
dass ihr preiset Gottes Güte,
die er hat getan an mir,
da er mich den ganzen Tag
vor so mancher schweren Plag,
vor Betrübnis, Schand und Schaden
treu behütet hat in Gnaden.

Dieses Lied des barocken Dichters Johann Rist (1607-1667) steht im Mittelpunkt der zweiten Passionsandacht.

Werde munter, mein Gemüte, das klingt nach einem fröhlichen Morgenlied, doch schon aus den nächsten Zeilen wird klar, dass es sich offensichtlich um ein Abendlied handelt: da er mich den ganzen Tag vor so mancher schweren Plag, vor Betrübnis, Schand und Schaden treu behütet hat in Gnaden. Ich höre den Dank, dass der Tag zu einem guten Ende gekommen ist, aber ich höre auch, dass jetzt etwas anderes beginnen soll, denn mein Gemüt, meine Seele, mein Herz, soll munter werden, wach und aufmerksam. Die trübe Nacht bricht an und verlangt Aufmerksamkeit. In der dritten Strophe heißt es:

Dieser Tag ist nun vergangen,
und die trübe Nacht bricht an;
es ist hin der Sonne Prangen,
so uns all erfreuen kann.
Stehe mir, o Vater, bei,
dass dein Glanz stets vor mir sei,
mich umgebe und beschütze,
ob ich gleich im Finstern sitze.

Finsternis umgibt mich. Der Sonne Prangen, Helligkeit und damit verbundenes Wohlbefinden verschwinden und weichen der trüben, dunklen Nacht. Dunkelheit, Nacht, Finsternis: wer in der Dunkelheit lebt, wer nachts unruhig wach liegt, wer sich plagt mit finsteren Gedanken und Erinnerungen, der findet keine Ruhe. Wie quälend kann dann eine Nacht sein, wie sehr sehnt sich dann ein Mensch den neuen Morgen und die Sonne herbei, die alle Finsternis vertreibt und neues Leben möglich macht. Johann Rist bittet: Stehe mir, o Vater, bei, dass dein Glanz stets vor mir sei, mich umgebe und beschütze, ob ich gleich im Finstern sitze. Gottes Glanz vertreibt die finstere Nacht. Weihnachten und die Epiphaniaszeit liegen noch nicht so lange zurück und ich erinnere mich an die Weihnachtslieder, die vom Glanz Gottes singen, vom Licht, das in die Welt kommt, von der Sonne voller Glanz und Pracht, vom Morgenstern, der aufgegangen ist und der die finstere Nacht vertreibt. Gottes Glanz soll den, der im Finstern sitzt, umgeben und beschützen. Gottes Glanz schafft einen Raum um mich, in dem ich mich geborgen wissen darf, in dem ich mich beschützt fühle. Nichts und niemand soll mir etwas anhaben können, ich darf in Frieden liegen und schlafen, weil ich weiß, dass Gott mir hilft, sicher zu wohnen.

Doch welche Finsternis ist hier gemeint? Was fürchtet Johann Rist, was macht ihm zu schaffen, dass er keine Ruhe finden kann? In der vierten Strophe dichtet er:

Herr, verzeihe mir aus Gnaden
alle Sünd und Missetat,
die mein armes Herz beladen
und mich gar vergiftet hat.
Hilf mir, da des Satans Spiel
mich zur Hölle stürzen will.
Du allein kannst mich erretten,
lösen von der Sünde Ketten.

Die Sünde ist es, die quält, die keinen Frieden finden lässt. All das, was von Gott trennen will, was den Menschen von Gott entfernt, belastet und beschäftigt den, der erkannt hat, dass er schuldig geworden ist vor Gott und seiner Schöpfung. Schuld kann das Herz sehr schwer machen. Schuldgefühle können einen Menschen krank machen. Johann Rist spricht von Vergiftung. Das heißt doch, Schuld ist gefährlich und kann sogar töten. Sie legt mich in Ketten, lähmt, macht bewegungsunfähig und letztlich stürzt das Spiel, das Satan mit mir spielt, mich zur Hölle, in den ewigen Tod, in die ewige Finsternis, fern von Gott und seinem Glanz.

Wie komme ich da raus? Herr, verzeihe mir aus Gnaden alle Sünd und Missetat, bittet Johann Rist. Und mit dieser Bitte weiß er sich gleichzeitig schon in sicheren Händen, denn er dichtet in der fünften Strophe weiter:

Bin ich gleich von dir gewichen,
stell ich mich doch wieder ein;
hat uns doch dein Sohn verglichen
durch sein Angst und Todespein.
Ich verleugne nicht die Schuld;
aber deine Gnad und Huld
ist viel größer als die Sünde,
die ich stets in mir befinde.

Der Dichter und Pfarrer Johann Rist ist sich seiner Fehler und Verfehlungen sehr bewusst und leugnet sie nicht. Er weiß, dass er immer wieder schuldig wird, doch er weiß auch, dass er immer wieder zu Gott zurückkommen kann. Immer wieder neu darf er sich Gott und seiner Liebe zuwenden. Und er weiß auch sehr genau, wem er das zu verdanken hat: hat uns doch dein Sohn verglichen durch sein Angst und Todespein. Jesus Christus, Gottes Sohn, hat durch sein Leiden und Sterben alles, was uns von Gott trennen will, weggenommen. Johann Rist benutzt in diesem Zusammenhang das Wort „vergleichen“, das verschiedene Bedeutungen haben kann. Was meint Rist? Ich möchte es so verstehen: Christus bringt zusammen, was getrennt war, er zieht heran, was sich entfernt hat. Christus bringt den schuldig gewordenen Menschen wieder mit Gott zusammen, denn deine Gnad und Huld ist viel größer als die Sünde, die ich stets in mir befinde.

Diese Erkenntnis, dass ich frei und erlöst vor Gott leben kann, lässt mich eine ruhige Nacht haben. Gelassen darf ich der Finsternis begegnen, die bei Gott ja nicht finster ist. Ich unterstelle mich seiner Macht, seinem hellen Schutzraum, in dem ich in Frieden schlafen kann und jeden Morgen wieder seinen Glanz sehen und erleben darf.

Fröhlich stimme ich ein in die letzte Strophe des Liedes von Johann Rist:

O du großer Gott, erhöre,
was dein Kind gebeten hat;
Jesu, den ich herzlich ehre,
bleibe ja mein Schutz und Rat;
und mein Hort, du werter Geist,
der du Freund und Tröster heißt,
höre doch mein sehnlich Flehen.
Amen, ja, das soll geschehen.

Eine gesegnete und hoffnungsvolle Zeit!

Ihre Pastorin Annette Beer