Liebe Gemeinde,
Natrium ist ein sehr instabiles und gefährliches Metall.[1] Wirft man nur ein kleines Stück reines Natrium in gewöhnliches Wasser, ereignet sich eine Explosion, der man besser nicht zu nahe kommt. Die Gefährlichkeit von Chlor ist noch berüchtigter. Chlor ist ein extrem giftiges Gas. Die meisten der grauenvollen Giftgase des Ersten Weltkriegs hatten eine Chlorbasis. Verbinden sich aber diese beiden unangenehmen Elemente, Natrium und Chlor, in einem sog. Ionengitter, erhält man Natriumchlorid, was nichts anderes ist als …. Salz. Das ganz gewöhnliche, aber lebensnotwendige Speisesalz. Ein erstaunliches Ergebnis. Weder vergiften wir uns, noch explodieren wir, wenn wir den Salzstreuer über dem Essen schwenken.
Noch erstaunlicher aber finde ich eine andere Kombination: Auch die Herrlichkeit Gottes kann tödlich sein. Die Bibel erzählt davon an mehreren Stellen. Als z.B. einer der Gefolgsleute König Davids, ein Mann namens Usa, der Bundeslade mit den Zehn Geboten darin zu nahekam, streckte ihn kurzerhand die Macht Gottes hinweg (2 Samuel 6). Als Mose begehrte, Gott von Angesicht zu schauen, erklärte ihm dieser, dass es ihn das Leben kosten würde: „Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht.“ (2 Mose 33,20)
Auf der anderen Seite steht die sündige Natur des Menschen, der beständige Drang, Gutes schlecht, Schlechtes noch schlimmer zu machen. Eine Eigenschaft, die Streit, Mord und letztlich Kriege hervorbringt, bei denen dann eben solche Chlorgaswaffen oder noch Schrecklicheres zum Einsatz kommen. Und dass es die Sünde, dass es das Böse in der Welt gibt, das wird wohl niemand von uns ernstlich leugnen.
Die Herrlichkeit Gottes und die sündhafte Natur des Menschen – zwei Dinge, die für sich genommen, jeweils brandgefährlich sind. Verbindet aber der Heilige Geist bei der Bekehrung die Kraft und Herrlichkeit Gottes mit einer sündhaften menschlichen Seele, was kommt dabei heraus? Genau: das Salz der Erde. Menschen, die die Welt braucht – vielleicht heute dringender denn je. „Ihr seid das Salz der Erde“, sagt Jesus (Matthäus 5,13).
Wie wichtig Salz ist, sieht man schon daran, dass von den fünf Geschmacksrezeptoren unserer Zunge einer allein auf „salzig“ programmiert ist. Salz braucht der Körper zum Speichern von Wasser in den Zellen, zum Weiterleiten von Nervenimpulsen, zum Transport von Nährstoffen. In der richtigen Dosis ist Salz wertvoller als Gold. Ohne Salz würde unser Körper nicht funktionieren. Ohne Gold schon.
Sicher, man kann manches auch versalzen. Aber hinter der Aussage Jesu in der Bergpredigt steht weniger die Sorge um ein mögliches Zuviel des Guten als um die im Alltag gerade auch von uns Christenmenschen viel häufiger anzutreffende Kleingläubigkeit und Verzagtheit:
„Ihr seid das Salz der Erde. Wenn nun das Salz nicht mehr salzt, womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten. Ihr seid das Licht der Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen sein. Man zündet auch nicht ein Licht an und setzt es unter einen Scheffel, sondern auf einen Leuchter; so leuchtet es allen, die im Hause sind. So lasst euer Licht leuchten vor den Leuten, damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen.“ (Matthäus 5,13-16)
Die Aufgabe der Jünger ist nicht, darauf zu warten, irgendwann einmal zum „Salz der Erde“ und zum „Licht der Welt“ zu werden – wir sind es schon! Ihr seid das Salz der Erde. Ihr seid das Licht der Welt. Und als solches werden wir gebraucht! Auch mit dem Mut, mit unserer Botschaft anzuecken. Auch mit dem Bewusstsein, dass man uns herausschmeckt aus dem faden Einerlei. Denn unsere Aufgabe ist es ja gerade nicht, uns selbstgenügsam abzuschotten. Die Aufgabe der Kirche ist auch nicht das Konservieren um jeden Preis, sondern als Christen sollen wir uns in diese fade und oftmals so geschmacklose Welt einbringen, einmischen – nicht als Selbstzweck, sondern um sie auf den aufmerksam zu machen, in dessen Händen sie steht: „damit sie eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen“. Ja, und auch das lernen wir vom Salz und noch mehr von Jesus Christus selbst: Dafür braucht es Hingabe, Menschen, die in ihrer Bestimmung aufgehen, Menschen, die keine Angst davor haben, sich zu verschenken, von ihrem innersten Wesen mitzuteilen, weil sie wissen, aus welcher Kraft sie leben, dass es Christi Kraft ist, die in ihnen mächtig ist und die ihnen umso mehr zuwächst, je mehr sie davon verströmen.
Die Bedeutung der Kirche auch für die Gegenwart besteht darum nicht darin, Lagerhalle für die Ewigkeit zu sein, sondern Salzstreuer. Was man so lange aufhebt, bis es keiner mehr brauchen kann, wird letztlich weggeworfen. Das Problem kennen wir alle aus unseren Vorratsschränken: „Wenn nun das Salz nicht mehr salzt,“ sagt Jesus, „womit soll man salzen? Es ist zu nichts mehr nütze, als dass man es wegschüttet und lässt es von den Leuten zertreten.“ Schade drum! Denn ich bin sicher: Wenn wir uns in der richtigen Dosis ins tägliche Einerlei einbringen, können wir tatsächlich den Unterschied machen, den unsere Welt braucht. Amen.
Pfrn. Dr. Gabi Kern
[1] Der Andacht liegen z.T. Gedanken aus dem Büchlein „Salzkonfekt. Andachten für Genießer“ von Hugo Ganslmayer, Gießen 2017 zugrunde.