Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.
Lukas 19,10
Etwas zu verlieren, kann sehr unglücklich machen. Ungeduldig sehe ich in jeder Ecke nach, wo sich das Verlorene versteckt hat. Und wie sehr freue ich mich, wenn ich finde, was ich vermisst habe.
Es geschieht aber auch, dass ein Mensch sich verliert. Er ist nicht mehr er selbst, er kennt sich selbst nicht mehr. Wie kann das geschehen? Und was macht das mit diesem Menschen?
Zachäus ist ein Mensch, der sich selbst verloren hat. Zachäus, der oberste Zolleinnehmer, der gerne in seine eigene Tasche arbeitet. Er ist unbeliebt, wird gemieden, niemand will ihn zum Freund haben. Wie einsam Zachäus wohl ist? Er fühlt sich verloren, abgehängt. Er wird von vielen verachtet, sogar gehasst. Sein Verhalten hat ihm das eingebrockt.
Zachäus will aber etwas ändern, denn so kann er nicht weiterleben. Er weiß, dass er Fehler gemacht hat und er spürt, wie ihn das belastet. So ist er doch gar nicht. Er ist doch nicht der Halsabschneider, der Egoist, der Geizkragen, für den ihn die Leute halten. Zachäus fühlt sich äußert unwohl mit diesem Ruf und er merkt, wie es an ihm nagt, wie es ihm den Schlaf raubt. Es muss sich etwas ändern, das ist klar. Aber alleine wird er das nicht schaffen, das weiß er auch.
Zachäus hört, dass Jesus in die Stadt kommt. Er weiß, Jesus ist jemand, der ihn versteht. Mit ihm will er sprechen. Und wenn das nicht klappt, dann will er ihn wenigstens sehen.
Mit vielen Menschen, die Jesus sehen wollen, geht er auf die Straße. Zachäus ist ein kleiner Mann. Er geht völlig unter in der großen Menschenmenge. Nicht mal ansatzweise kann er Jesus sehen. Da läuft er voraus und klettert auf einen Baum. So, jetzt hat er den Überblick. Und da sieht er Jesus. Er kommt direkt auf ihn zu. Unter seinem Baum bleibt Jesus stehen. Er blickt hoch und spricht ihn an: „Zachäus, steig schnell herab. Ich muss heute in deinem Haus zu Gast sein.“ Wie bitte? Hat Zachäus richtig gehört? Jesus, der ihn eigentlich gar nicht kennen kann, geht auf Zachäus zu, spricht ihn freundlich an, behandelt ihn mit Respekt und lädt sich zum Essen ein. Interessiert sich Jesus etwa für ihn? Wie lange hat sich niemand für Zachäus interessiert? Wie lange hat er kein nettes Wort gehört? Jesus hat sich aus der großen Menschenmenge ausgerechnet Zachäus ausgewählt. In sein Haus will er einkehren, mit ihm will er zusammen essen.
Zachäus ist auf einmal wie umgewandelt. Eilig steigt er vom Baum herab. Jesus will sein Gast sein, Jesus will mit ihm essen! Das gibt es doch gar nicht! Wie lange hatte er keinen Gast? Wie lange hatte er kein freundliches Wort gehört? Jesus sieht ihn. Unter den vielen Menschen ist er gerade auf ihn zugekommen.
Da hört er schön, wie die Menschen meckern: „Ausgerechnet bei diesem Halsabschneider Zachäus will er essen!“ Zachäus ist das Gerede egal. Ja, er hat Fehler gemacht, ja, er hat betrogen. Und was hat ihm das eingebracht? Nur Ärger. Einsam und verloren ist er darüber geworden. Es hat ihn bedrückt, ja, es hat ihn krank gemacht.
Jetzt soll sich alles ändern. Zachäus hat verstanden, dass er noch einmal neu anfangen kann. Er hat verstanden, dass er etwas wert ist, dass er wahrgenommen und geliebt wird. Jetzt beginnt ein neues, anderes Leben.
Zachäus wird leicht ums Herz. Er fühlt sich nicht mehr verloren, abgehängt, gemieden. Jesus hat ihn gesucht und gefunden. Jesus hat ihn gerettet, herausgezogen aus seinem alten Leben. Zachäus ist glücklich.
Er beschließt, wieder gut zu machen, was er getan hat und so gibt er die Hälfte seines Besitzes an Arme und an die, die er betrogen hat. Er will sogar das Vierfache zurückgeben. Das, was er da plant, schmerzt richtig. Er ist zwar reich, aber das, was er abgeben will, kann ihn an die finanzielle Grenze bringen. Er wird künftig scharf rechnen müssen, um zurecht zu kommen. Und doch will Zachäus das so. Diesen kritischen Punkt will er zuerst ändern. Er will ein anderer Mensch sein, und seine Mitmenschen sollen das spüren. Dass er sich ändert, hat er Jesus zu verdanken, von dem sich Zachäus ernst genommen fühlt, und der ihn gesucht und gefunden hat.
Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist. Jesus, der Menschensohn, sucht und findet und spricht: „Dich will ich, du bist mir wichtig, du bist gerettet und du sollst froh sein“. Ich kann sicher sein: Jesus sucht mich, wenn ich drohe, verloren zu gehen. Das ist ein wunderbares Gefühl.
Eine gute, gesegnete Woche!
Ihre Pfarrerin Annette Beer