Die verschlossene Tür
Zum Ewigkeitssonntag gehört das Gleichnis Jesu von den 10 Jungfrauen,
welches der Evangelist Matthäus im 25 Kapitel überliefert. Gleichnisse wollen
gedeutet werden. Ich möchte Ihnen heute eine Deutung vorlegen, die die
lebensgeschichtlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse der damaligen Zeit
kritisch in den Blick nimmt.
Dies bedeutet für meine Auslegung, dass es sich bei dem Öl tatsächlich nur um
Öl handelte. Dass es sich bei dem Bräutigam tatsächlich um einen jungen
Mann handelte, der sich verheiratete.
Dass eben uns ein Geschehen während einer Hochzeit erzählt wird – und zwar
so wie es damals üblich war.
Denn Christus nahm in seinem Gleichnissen häufig die damaligen
gesellschaftlichen Verhältnisse in den Blick.
In diesem lenkte er die Aufmerksamkeit seiner Hörer auf 10 Jungfrauen, die
bei einer Hochzeitsfeier anwesend waren.
Christus berichtete nicht über die ganze damals übliche Hochzeitszeremonie,
sondern nur von einem besonderen Moment.
Nämlich dem, als der Bräutigam die Braut aus ihrem Elternhaus zu sich holte.
Das geschah normalerweise um die Mitternachtsstunde. Dann erklangen die
Schofar-Hörner und eine Schar von Menschen mit Fackeln waren auf der
Straße unterwegs geradewegs zum Haus der Braut.
Unter denen, die Fackeln trugen, befanden sich 10 Jungfrauen. Auf diese
richtet er unsere Aufmerksamkeit.
Christus nahm also in diesem Gleichnisse genau jene Personengruppe in den
Blick, bei der es sich um die schwächsten Glieder der damaligen Gesellschaft
handelte.
Jungfrauen, das waren zu jenen Zeiten Frauen im Alter zwischen 12 – 14
Jahren, die als heiratsfähig angesehen wurden.
In der damaligen von Männern beherrschten Gesellschaft wird mit dieser
Bezeichnung „Jungfrau“ ihr sozialer Status beschrieben:
Sie stellten das Angebot auf dem Heiratsmarkt dar. Ihr „Marktwert“ wurde in
der Regel von den Vätern der Mädchen und den potentiellen Ehemännern
bestimmt.
Die Aufgabe dieser jungen Frauen bei einer Hochzeitsfeier bestand nun darin,
sich möglichst gut als zukünftige Ehefrauen zu präsentieren. Dass es sich dabei
um eine Prüfungssituation für diese Frauen handelte, liegt wohl auf der Hand.
Christus erzählte weiter, dass es zwei Gruppen von jungen Frauen auf dieser
Hochzeit gab: da gab es kluge und es gab naive oder dumme.
Nun – die klugen zeichneten sich dadurch aus, dass sie auf den Heiratsmarkt
gut vorbereitet waren. Sie verhielten sich schlau, wenn es darum ging, sich
auf eine Weise zu präsentieren, die Männer von ihnen erwarteten.
Klug also nur in diesem Sinne – schlau könnte man auch sagen – nach dem
damaligen Wertekatalog der Männer.
Dumm waren jene, die sich nicht auf diese Weise verhielten – die es
versäumten, sich gut zu verkaufen.
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Schlau waren in den Augen der damaligen Menschen auch jene Jungfrauen, die
ihr Öl nicht mit den anderen teilten.
Ihre Weigerung, ihr Öl zu teilen, wurde darum natürlich nicht kritisiert.
Vielleicht tun wir es, wenn wir davon hören.
Nämlich Kritik daran zu üben, dass sie sich nicht solidarisch verhielten.
Die Schlussszene, die uns mit einer verschlossenen Tür in Berührung bringt,
offenbart das Furchtbare, das Erbarmungslose dieser damaligen Verhältnisse
für die jungen Frauen. Eine lebenswerte Zukunft war all jenen Frauen
verschlossen, die sich eben nicht auf die Weise verkaufen konnten oder
wollten, wie es Männer von ihnen erwarteten. Zukunft hatte eine junge Frau in
der damaligen Zeit nur, wenn sie einen Mann fand, der bereit war, sie zu
heiraten.
Diese letzte Szene – das Stehen der fünf jungen
Frauen vor verschlossener Tür ließ die Hörenden in
einer düsteren Stimmung zurück.
Hier hörten sie die Stimme, die zu ihnen sprach:
„Ich kenne euch nicht.“ oder anders gesagt:
Ihr geht mich nichts an!
Liebe Gemeinde!
Das ist nicht die Stimme Christi, sondern dabei handelt
es sich um die Stimme einer erbarmungslosen Welt,
die all jene ausschließt, die sich nicht ihren Vorstellungen
und Erwartungen unterwerfen wollen oder können.
„Die Antwort einer hörenden Gemeinde kann doch
nur sein:
Aber wir kennen euch und nehmen euch auf.
Diese Tür bleibt nicht verschlossen. Denn wir haben ja noch die Zeit, die
Verhältnisse, die euch bedrücken, zu verändern.“
Denn das ist gewiss:
Christus kommt – und mit seinem Kommen beginnt eine neue Zeit: die Zeit der
gerechten Herrschaft Gottes. Gerechtigkeit im biblischen Sinne meint, sich der
Schwächsten anzunehmen. Eine neue Zeit, in der die Worte Gottes wahr
werden: „Siehe ich mache alles neu. Und ich sage es nicht nur – ich tue es
auch!“
Das Vertrauen in sein Wort wird Menschen dazu befähigen, sich schon jetzt
nach Kräften für eine Welt – im Großen wie im Kleinen – einzusetzen, die sich
mit den Schwächsten unter ihnen solidarisch zeigt – und so die Tür offen hält.
In diesem Gleichnis wird nicht darüber spekuliert, wer im Gericht vor
verschlossenen Türen stehen oder wer gerettet wird.
Wach sollen wir sein, auf Gottes gutes Gebot hören und danach handeln und so
Ihn und die Ankunft Seines Sohnes nicht verpassen.
Pfarrerin Gabriele Steinmeier