An(ge)dacht zu Neujahr 2022

Jesus Christus spricht:

„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“
(Johannes 6,37 – Jahreslosung 2022)

In der Mitte der Herforder Münsterkirche im zentralen Gewölbe ist Jesus Christus auf seinem Thron sitzend dargestellt. Gekennzeichnet ist er durch den goldenen Heiligenschein mit dem roten Kreuz darauf. Diesen Kreuzesnimbus trägt nur der Gekreuzigte. Zwei Schwerter sind hinter ihm und zeigen auf seinen Kopf. Sie sind die Zeichen, dass Jesus Christus über die Kirche und die Welt herrscht. Er bestimmt das weltliche und das kirchliche Recht. Die Arme hat er leicht erhoben und die Handflächen offen zu uns Betrachtenden gekehrt.

Das ist eine eigentümliche Darstellung und ein sonderbarer Gestus vom thronenden Christus. Das ist für diese Zeit, die Skulptur ist zwischen 1230 und 1250 entstanden, ungewöhnlich. Natürlich gab es damals viele Darstellungen von Jesus Christus, die ihn auf seinem himmlischen Thron sitzend zeigen, aber sehr oft gehört das zu Darstellungen des Jüngsten Gerichtes, so wie es bei Matthäus (Mt 25,31-46) beschrieben ist. Und dann hat Jesus auf diesen Darstellungen oft die rechte Hand segnend erhoben, während die linke Hand ausgestreckt nach unten zeigend die Verurteilten zur ewigen Verdammnis weist. Hier aber ist kein Jüngstes Gericht dargestellt. Hier hat Jesus Christus beide Arme mit einem einladenden Gestus erhoben und die Hände ebenso einladend geöffnet. Auch auf dem himmlischen Thorn sitzend lädt Jesus Christus alle ein und spricht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Die Jahreslosung 2022 »Jesus Christus spricht: „Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“« stammt aus der Fortführung der Erzählung von der Speisung der Fünftausend. Vorhergehend erzählt das Johannesevangelium von dem Weinwunder zu Kana, der Tempelreinigung, dem Besuch des Nikodemus und von Heilungen. Es wird klar, dass man über Jesus redet. Die Nachrichten von ihm gingen von Ort zu Ort und wurden weitergetragen. Jesus eilt ein Ruf voraus. Die Erwartungen an ihn sind hoch und so strömen viele Menschen zu ihm.

Jesus wendet sich ihnen ganz zu. Er öffnet sich für sie und predigt ihnen Gottes Liebe. Er sieht die Menschen und ihre Not und breitet die Arme aus, um alle anzunehmen. Er weist keinen von ihnen ab.

Die Menschen sind so sehr auf der Suche nach Hoffnung und Perspektive gewesen, dass sie vergessen hatten für sich selbst, für ihren eigenen Proviant zu sorgen. Jesus sieht die Menge von 5000 Menschen. Er sieht die Einzelnen und weiß, was ihnen fehlt. So fragt er Philippus: „Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?“ Nur, alles, was sie kaufen könnten, wenn denn überhaupt etwas zu kaufen wäre, ist niemals genug, damit alle in dieser Menge auch nur ein bisschen bekommen könnten. Zwar ist da ein Junge, der fünf Brote und zwei Fische hat, aber das würde nicht einmal für Jesus und die Jünger reichen, von der Menschenmenge ganz zu schweigen.

Jesus und alle anderen wissen, dass sie unter normalen Bedingungen hungrig bleiben müssten. Er weiß allerdings, was er jetzt tun wird. Er lässt die Menschen sich lagern, betet und verteilt dann die Brote und die Fische. Jeder kann so viel bekommen und essen, bis er satt ist. Es bleiben sogar zwölf Körbe von den geteilten fünf Broten übrig.

Wen wundert es, dass diese Menschen nun nicht nur körperlich satt sind. Sie brechen in Lob aus: „Er ist wirklich der Prophet, der in die Welt kommen soll!“ Aber so wirklich haben sie Jesu Auftrag trotzdem nicht verstanden. Sie denken und hoffen immer noch viel zu irdisch. Sie sind in ihren alten Vorstellungen verhaftet. Sie wollen Jesus zu ihrem irdischen König machen. Denn, wer den Hunger der Menschen sieht und mit so wenig so viele satt machen kann, unter dem ist gut leben.

Aber da zieht Jesus sich zurück. Dieser Weg ist nicht sein Weg. So sehr er als König der Juden gekreuzigt werden wird, ein irdisches Königreich ist nicht das Ziel seines Wirkens.

Mit einem Mal ist die Menschenmenge also ohne ihr Gegenüber. Aber so schnell geben sie nicht auf. Zu viel Gutes haben sie von Jesus erlebt und mitbekommen, um ihn einfach ziehen zu lassen. So suchen sie ihn. Folgen den Spuren und treiben ihn schließlich am anderen Seeufer auf. Immer noch wollen sie ihn zum König machen, aber Jesus verwickelt die Menschenmenge in ein Gespräch. Sie schildern ihre Hoffnungen und Erwartungen. Sie argumentieren mit der Bibel. Und Jesus zeigt ihnen eins ums andere Mal ihre Missverständnisse auf. Aber sie formulieren ihren Hunger, ihren innersten Hunger. Sie wollen für immer gesättigt sein. Und Jesus weist keinen von ihnen ab.

Und schließlich offenbart ihnen Jesus sich selbst: „Ich bin das Brot des Lebens.“

Jesus weiß allerdings, dass sie die Tiefe dieses Satzes nicht wirklich verstehen können. Er offenbart sich als Christus, als Gottes Sohn. Und doch kann die Bedeutung dieses Satzes erst nach dem Abendmahl, nach Kreuzigung und Auferstehung annähernd erfasst werden. Jesus steht den suchenden Menschen gegenüber. Er gibt ihnen, wonach sie suchen. Er öffnet sich ihnen ganz als der Sohn Gottes. Aber sie können es nicht begreifen und bleiben letztlich Suchende.

Auch in unserer Zeit sind viele Menschen Suchende. Sie hungern nach einer Sättigung, die kein normales Nahrungsmittel stillen kann. So haben religiöse Meditationen, Patchworkreligionen und esoterische Angebote nach wie vor hohen Zulauf.

Und doch lädt Jesus uns immer wieder neu ein, indem er sich als der Sohn Gottes offenbart. Er hat für uns das Abendmahl eingesetzt und ist für uns am Kreuz gestorben und am dritten Tag auferstanden. Auf dem himmlischen Thron sitzend hat er über uns allen seine Arme ausgebreitet. Er lädt uns ein, immer wieder mit allem, was uns bewegt, zu ihm zu kommen. Er will uns stärken und begleiten. Jesus spricht auch heute zu uns: „Ich bin das Brot des Lebens. Und wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“

Ich wünsche Ihnen ein gutes Neues Jahr voller Segen!
Ihr Pfarrer Johannes Beer