An(ge)dacht zum 4. Advent am 19. Dezember 2021

Und im sechsten Monat wurde der Engel Gabriel von Gott gesandt in eine Stadt in Galiläa, die heißt Nazareth, zu einer Jungfrau, die vertraut war einem Mann mit Namen Josef vom Hause David; und die Jungfrau hieß Maria. Und der Engel kam zu ihr hinein und sprach: Sei gegrüßt, du Begnadete! Der Herr ist mit dir! Sie aber erschrak über die Rede und dachte: Welch ein Gruß ist das? Und der Engel sprach zu ihr: Fürchte dich nicht, Maria! Du hast Gnade bei Gott gefunden. Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben. Der wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden; und Gott der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben, und er wird König sein über das Haus Jakob in Ewigkeit, und sein Reich wird kein Ende haben.

Da sprach Maria zu dem Engel: Wie soll das zugehen, da ich doch von keinem Manne weiß? Der Engel antwortete und sprach zu ihr: Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, das geboren wird, Gottes Sohn genannt werden. Maria aber sprach: Siehe, ich bin des Herrn Magd; mir geschehe, wie du gesagt hast. Und der Engel schied von ihr.

            – Lukas 1,26–38

Glauben Sie das?

Die Sache mit der Jungfrauengeburt meine ich. Ich weiß – Weihnachten steht vor der Tür, und da wohnt diese ganze Geburtsgeschichte mit Ankündigung und Verheißung, Flucht und Leitung, Krippe, Hirten und „hört der Engel helle Lieder“ in unseren Herzen; es gehört einfach zu Weihnachten dazu.

Ich weiß aber auch, dass diese Sache mit der Jungfrauengeburt einer der ersten Glaubenssätze ist, an dem junge Menschen zweifeln und die sie über Bord werfen; dass sich Millionen von Christinnen und Christen an Heilig Abend diese Geschichte erzählen lassen – aber eben so, wie sie sich auch Harry Potter, den Herrn der Ringe oder Narnia erzählen lassen: als Geschichten. Schön, anrührend, inspirierend, ja. Wahr? Nun, daran gibt es immer mehr Zweifel.

Auch in der Theologie. Als ich studiert habe, haben wir an den Universitäten, in den Seminaren und Übungen, leidenschaftlich darüber gestritten, wie das aussieht mit der Jungfrauengeburt, und wie die Geschichten verstanden werden können, die von ihr erzählen. Fest steht: die Jungfrauengeburt ist eine Herausforderung, weil sie für viele irgendwie nicht mehr in den Glauben dieser Zeit passt.

Aber fangen wir vorne an. Warum ist die Jungfrauengeburt Jesu eigentlich so eine wichtige Sache für das frühe Christentum, und warum erzählt die junge Kirche die Geschichte auf diese Weise? Gute Frage. Also:

Man kann sagen – von einer Jungfrau geboren worden zu sein, gehörte in der Welt, in der diese Geschichte aus dem Evangelium nach Lukas spielt, ein wenig zum guten Ton. Jesus war nicht der erste, der nach dem Glauben vieler Menschen von einer Jungfrau zur Welt gebracht wurde: Alexander der Große, Platon, der ägyptische Gott Horus, um nur einige zu nennen – alle gleichen sich in der Hinsicht, dass sie zu großem bestimmt waren, und dass Menschen sich erzählten, dass diese Männer nicht auf „natürlichem“ Wege in die Welt kamen, sondern Kinder von Göttern sind, und von Jungfrauen ausgetragen und geboren wurden. Auf normalem Wege in dieses Leben einzutreten, das passte irgendwie nicht in die Erzählungen von so großen Persönlichkeiten; es war profan, es war langweilig, es war zu normal. Schon damals glaubte man anscheinend, dass künftige Ereignisse ihre Schatten voraus warfen, und ein später spektakuläres Leben, dass das Leben vieler anderen beeinflusst hat und beeinflusst, auch auf spektakuläre Weise begonnen haben muss.

Viele Theologinnen und Theologen gehen deswegen heute davon aus, dass die Schreiber der Evangelien ein wenig unter den Druck des Genres der Heldenbiographien geraten waren – und sich deswegen vielleicht etwas dazu hingezogen fühlten, auch die Geschichte von Jesus phantastisch beginnen zu lassen.

Deswegen ist sich das Neue Testament in dieser Hinsicht vielleicht auch immer nicht ganz sicher. Ja, einerseits nutzen die Evangelisten die Erzählung von der Jungfrauengeburt auch inhaltlich, um deutlich zu machen, dass Jesus Gottes Sohn ist – und zwar schon auf eine andere Art und Weise, als wir anderen alle Gottes Kinder sind – er spricht und handelt mit einer Vollmacht und Gewissheit, die uns meistens fehlt. Andererseits reitet das Neue Testament aber auch ein bißchen viel darauf rum, dass Josef, eben der menschlich betrachtet nicht-Vater von Jesus, auf das Herrscherhaus Davids zurückgeht, und Jesus damit durch seine Abstammung  auch irgendwie und zumindest ein wenig Anspruch darauf hat, König Israels zu sein. Dass Jesus „Messias“ genannt wird – ein Begriff, der eigentlich aus den Krönungsriten der Könige Israels stammt – schillert immer ein wenig weltlich und göttlich, nicht nur in den Texten, sondern auch in den Ohren der damaligen Hörerinnen und Hörern, und viel deutet darauf hin, dass die Menschen, die Jesus zu seinen Lebzeiten folgten, bis zum Ende immer mal wieder nicht ganz sicher waren, von welchem Reich Jesus sprach – einem weltlichen, oder einem jenseitigen. Und viele fragten sich: In wessen Fußstapfen tritt Jesus denn nun? In die seines irdischen Vaters Josef, und wird König Israels? Oder in die seines göttlichen Vaters, und wird König über viel mehr als das?

Ist die Sache mit der Jungfrauengeburt also nur eine Geschichte? Nun, das kann ich Ihnen auch nicht sagen – nur weil wir es bis hierher so schön aufgedröselt haben, heißt das schließlich nicht, dass es auch so gewesen sein muss, und schon gar nicht, dass Gott sich an weltliche Logik und Möglichkeiten hält.

Vielleicht ist es aber auch gar nicht so wichtig, wie Jesus auf die Welt kam, sondern viel wichtiger ist, warum – und wie er gelebt hat. Er kam, um Licht zu bringen. Und egal, ob von einer Jungfrau geboren oder nicht, fest steht: Die Menschen, die ihm begegneten, die mit ihm sprachen und sich von ihm berühren ließen, merkten, dass er mehr war als ein Mensch. Sie erkannten Gottes Liebe in ihm und seine Barmherzigkeit, sie merkten, dass Gott auf einmal mitten unter ihnen war. Jesu Worte und Taten wurden der Grundstein der Kirche, sein Geist und seine Lehren von Nächstenliebe, Mitgefühl und Aufopferung für die Schwächeren tragen und leiten uns auch heute noch. Jesus aus Nazareth, Christus genannt, veränderte die Welt – zum besseren. Darum gehts.

Vielleicht feiern wir also vor allem, dass Jesus geboren wurde – und nicht so sehr, wie das geschah. Denn in der Jungfrauengeburt können wir ihn wohl kaum zum Vorbild nehmen – wohl aber in einer Menge anderer Dinge, die sein Leben ausmachten. Und das reicht vielleicht schon.

Einen gesegneten vierten Advent!

Ihr Pfarrer Simon Hillebrecht