Der Herr hebe sein Angesicht über dich!
Und der Herr redete mit Mose und sprach: Sage Aaron und seinen Söhnen und sprich: So sollt ihr sagen zu den Israeliten, wenn ihr sie segnet: Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden. Denn ihr sollt meinen Namen auf die Israeliten legen, dass ich sie segne.
(4. Mose 6,22-27)
Am Ende fast eines jeden evangelischen Gottesdienstes wird dieser Segen der Gemeinde zugesprochen. Die Hände wie zur Handauflegung erhoben, spricht der Pfarrer oder die Pfarrerin allen gemeinsam und doch jedem einzeln diesen Segen zu. Unverändert, nur übersetzt, wird dieser Segen schon über drei Jahrtausende zugesprochen.
Und mit welcher Wirkung?
Skeptiker meinen, dass der Segen keine Wirkung habe. Das könne man doch wahrlich an den letzten dreitausend Jahren genauso gut erkennen, wie an vielen aktuellen Beispielen. Es wäre doch offensichtlich, dass das so gesegnete Volk der Juden eine besondere Leidensgeschichte habe und nicht etwa eine sicher Friedensgeschichte. Am Erfolg könne nicht zwischen Gesegneten und Ungesegneten unterschieden werden. Immer wieder wird versucht, am irdischen Reichtum und wirtschaftlichem Erfolg, am Familienglück und der Skala der Zufriedenheit Gottes Segen abzulesen. Der Segen soll sich ruhig auszahlen: Mein Auto, mein Haus, mein Swimmingpool, meine Frau, meine Kinder!
Aber ist das gemeint?
Natürlich nicht. Das wäre ja eine Art von Zauberei und dies Verständnis erinnert an märchenhafte Vorstellungen der Glückszusage und der nachweislichen Unverwundbarkeit. Aber der Segen ist nichts von dem. Er ist auch keine Versicherung gegen Unfall und Unglück, sondern die Zusage von Gottes Begleitung. Und diese Zusage gilt in allen Höhen und Tiefen des menschlichen Lebens. Gott hält den Menschen. Gott hält ihn bei seiner rechten Hand, so wie ihn früher Vater oder Mutter geführt haben. Voller Vertrauen liegt eine kleine Hand in der großen Hand, die Sicherheit ausstrahlt. Gott hat sich diesem Menschen zugewandt und führt ihn durch sein Leben. Gott leitet den Menschen durch das Leben, durch alle Höhen und Tiefen, ja selbst durch den Tod. Und dabei ist es besser, in den Tiefen jemanden an seiner Seite zu wissen, als vermeintliche Höhen zu durchleben. Es ist besser, sich auf Gott verlassen zu können, als das einem tausend Menschen nachlaufen und man riesigen Erfolg auf Erden hat. Im Segen werden den Menschen Lebenskräfte zuteil, die er sich selbst nicht nehmen kann, die ihn schließlich sogar befähigen können das Leiden anzunehmen und durchzustehen.
In diesem Segen wird dreimal der Name Gottes über dem Gesegneten ausgerufen. Wir tun das in der seit Jahrtausenden üblichen Umschreibung und wissen doch, dass hinter jedem „Herr“ hier der Gottesname steht, mit dem sich Gott Mose und seinem Volk vorgestellt hat. „Jahwe“ – in der deutschen Übersetzung: „Ich bin, der ich bin.“ Aber diese Übersetzung greift zu kurz. Die hebräische Sprachform lässt sich in ihrer Vielschichtigkeit kaum nachmachen. „Ich bin der Seiende, der ich war, bin und sein werde, der ich für dich da bin.“ Oder, auch möglich: „Ich bin der Dich begleitende.“ Der Segen in diesem Namen ist ein einziger Zuspruch der Begleitung Gottes. Und in dessen Angesicht, das wie die Sonne wärmend leuchtet und freundlich strahlt, kommt diese Zuwendung zu einem bildhaft unmittelbaren Ausdruck. Wenn Gott sein Angesicht erhebt und nicht im Zorn senkt oder gar verbirgt, dann ist das Ausdruck seines Wohlwollens.
Das letzte Wort des Segens schließlich fasst das Ziel des ganzen Segens zusammen und macht damit zugleich die Perspektive des Segens deutlich: „Shalom“.
Unter „Shalom“, „Frieden“ versteht die Bibel mehr als nur das Fernsein von Krieg und Kampf. So wichtig das auch und gerade in unserer Zeit wieder ist. „Shalom“ ist vielmehr das Fehlen eines jeden Mangels und der umfassende Zustand des Glücks und der Seligkeit. Erst wenn alles Leid und alle Tränen, alle Schmerzen und alle Trauer, ja selbst der Tod nicht mehr sein werden, ist wirklich Frieden. Erst wenn wir bei Gott in seinem Reich leben werden, wirkt der Segen in seiner ganzen Vollendung. Aber schon jetzt und in unserer Zeit spüren wir die Kraft daraus.
Wir alle, die wir getauft sind, die wir Gottesdienste besuchen, sind Gesegnete. Uns ist die Begleitung Gottes geschenkt. Wir dürfen gestärkt sein für jeden Lebensabschnitt, für die guten und die schlechteren. Wir durften immer auf Gott vertrauen und dürfen es noch.
Ich wünsche Ihnen, ein gesegnetes Trinitatisfest und viel Segen in Ihrem Leben!
Ihr Pfr. Johannes Beer
(Abbildung: Matthias Grünewald: „Angesicht des Herrn“
Ausschnitt aus „Stuppacher Madonna“ 1514–1516, Mischtechnik auf Nadelholz)