An(ge)dacht zum Sonntag Lätare, 27. März 2022

Liebe Leserin und lieber Leser!

„Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht“ lautet der Wochenspruch aus dem Johan-nesevangelium.  Joh 12,24

Der Evangelist überträgt dieses Bild aus der Landwirtschaft auf Jesus: Schon jetzt gehen unsere Gedanken voraus zum Karfreitag, zu seinem Sterben und Tod am Kreuz. Doch er bleibt nicht allein, son-dern Gott hat ihn vom Tod auferweckt: Das Grab ist leer. Christus ist auferstanden. Halleluja! Er bringt viel Frucht.

Bildquelle: EKvW online

Dieser Sonntag heißt Laetare. Er ist der einzige Sonntag in der Passionszeit, der von Freude geprägt ist. Darum nennt man ihn auch Klein-Ostern. Sein Name ist abgeleitet von einem alttestamentlichen Vers für diesen Sonntag, der auf Lateinisch mit Laetare beginnt: „Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich … !“ Jesaja 66,10 

Freude kommt dementsprechend auch in einem anderen alttestamentlichen Text für diesen Sonntag Lätare vor: Indirekt, in Form von großer Barmherzigkeit und ewiger Gnade Gottes. Jesaja 54,7-10:

7 So spricht der Herr: Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen, aber mit großer Barmher-zigkeit will ich dich sammeln. 8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der Herr, dein Erlöser. (…) 10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen, aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.

Bemerkenswert, dass die Bibel so etwas von Gott erzählt: „Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen.“ Und: „Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen.“ Gott wendet sich ab von den Menschen. Er selbst redet von Gottverlassenheit! Es stockt einem der Atem.

Gelegentlich reden wir auch so: „Das ist eine gottverlassene Gegend hier“ sagen wir zur Beschrei-bung einer einsamen, kargen Landschaft. Oder: „Er oder sie ist von allen guten Geistern verlassen“, wenn jemand etwas Waghalsiges tut. Doch wenn Gott das sagt; wenn er uns einen Augenblick ver-lässt, dann ist das für die Menschen möglicherweise eine Katastrophe. Wie schlimm muss dieser Augenblick für die Betroffenen sein?!

Wie so oft in diesen Wochen denke ich an den Ukraine-Krieg, habe Bilder von zerstörten Häusern und zerbombten Städten vor Augen. Wie mögen sich die Menschen während der nächtlichen Angriffe fühlen? Oder wenn sie sich in Todesangst auf die Flucht machen, nachdem sie alles verloren haben und hinter sich lassen mussten? Wo ist Gott?

Der kleine Augenblick der Gottverlassenheit fühlt sich vielleicht wie eine Ewigkeit an: Wenn alles in Trümmern liegt, was man sich mühsam aufgebaut hat und wofür man lebt.

Die biblischen Erzähler benutzen solche Bilder aus der Natur als Vergleich, um das eigene Ergehen in der Katastrophe zu beschreiben. So auch Jesaja: Berge weichen, Hügel fallen hin, eine Welt bricht zusammen.

Angesichts der Bilder aus dem Ukraine-Krieg verstumme ich. Das Schreckliche, was Menschen dort erleben, kann ich nicht einfach übergehen. Denn ich kann verstehen, wenn sie fragen „Wo ist Gott?“ Weil sie sich gottverlassen fühlen. Sie haben mein ganzes Mitgefühl.

Ich kann höchstens sagen, was auf einem anderen Blatt steht. Wo die Bibel von Menschen erzählt, die in schwerer Zeit glücklicherweise auch diese andere Erfahrung gemacht haben: Dass Gott gnädig und barmherzig ist. Dass es Hoffnung und Zukunft gibt. Ja, dass ER sich mit ewiger Gnade erbarmt!  Sein Bund des Friedens ist stärker. Er soll nicht von den Menschen weichen und wird nicht hinfallen.

Beide Erfahrungen mit Gott stehen krass nebeneinander.

Gibt es etwas dazwischen? Wie geht beides zusammen?

Das „aber“ liegt dazwischen. Der Halbsatz nach dem Komma beginnt damit: „aber meine Gnade soll nicht von dir weichen.“

Nicht nur der Satz, sondern das Leben geht weiter! Es klingt so einfach. Darum übersieht man leicht, was in diesem Jesajavers steckt: Das Leben geht weiter und hat eine Zukunft! Weil es etwas Trag-fähiges gibt, worauf wir unser Leben bauen dürfen. Auf Gottes Gnade.

Sie ist da. Gott schenkt sie den Menschen. Trotz Unsicherheit und Schicksalsschlägen gilt: Gottes Gnade ist da und richtet Menschen auf. Sie ist verlässlich und fest und bleibt in Ewigkeit, betont Jesaja.

Berge und Hügel mögen weichen und hinfallen, aber Gottes Gnade und der Bund seines Friedens soll nicht von dir weichen und nicht hinfallen, spricht der Herr, dein Erbarmer.

Das Aber ist entscheidend! Es weitet den Blick für die größeren Zusammenhänge. Es verschafft Luft zum Durchatmen. Dadurch bleibe ich nicht stecken in den engen Grenzen meiner Fassungslosigkeit und Hilflosigkeit. Gnade ist, wenn der Blick frei wird etwas Neues am Horizont zu entdecken.

Was einem wie eine Ewigkeit vorkommen mag, steht in Wirklichkeit in noch viel größeren Dimen-sionen: In Gottes Augen ist dies nur ein winzig kleiner Augenblick. Gegenüber dieser kleinen Zeit, diesem kleinen Augenblick steht seine große Ewigkeit. „Mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht Gott.“ Darin liegt vielleicht der Segen: Jesaja bezeichnet die Gnade mit ewiger Dauer, nicht die Gottverlassenheit!

Dassind Gottes Kategorien von Zeit und Ewigkeit: Die großen Zusammenhänge, in denen unser Leben von ihm gehalten und bei ihm geborgen ist. Und die meinen Verstand übersteigen.

Bei aller gefühlten menschlichen Kleinheit möge dies ein Trost, ein Grund zur Hoffnung sein.

Ich wünsche Ihnen alles Gute in dieser Passionszeit: Bleiben Sie wohlbehalten!

   Ihr Andreas Smidt-Schellong

Wochenlied am Sonntag Laetare:

2. Über Gottes Liebe brach die Welt den Stab, wälzte ihren Felsen vor der Liebe Grab.

Jesus ist tot. Wie sollte er noch fliehn? Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.

3. Im Gestein verloren Gottes Samenkorn, unser Herz gefangen in Gestrüpp und Dorn –

hin ging die Nacht, der dritte Tag erschien: Liebe wächst wie Weizen, und ihr Halm ist grün.   EG 98

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