Erneuerter Bund
Liebe Leserin und lieber Leser!
Im alttestamentlichen Text für diesen Sonntag vor Pfingsten geht es um etwas Neues. Der Prophet
Jeremia überliefert:
31 Siehe es kommt die Zeit, spricht Gott, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, 32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, ein Bund, den sie nicht gehalten haben, obwohl ich ihr Herr war, spricht Gott; 33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht Gott: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. 34 Und es wird keiner den andern noch einer den Nächsten belehren und sagen: „Erkenne den Herrn“, sondern sie sollen mich alle erkennen, beide, klein und groß, spricht Gott; denn ich will ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken. Jeremia 31, 31-34
Der Prophet versetzt uns zurück ins 5. Jh. vor Christus. Er sieht eine Zeit kommen, in der alles neu wird. Das war ein Trost für seine Zeitgenossen, denn die Israeliten hatten damals Schweres erlebt: Jerusalem wurde von feindlichen Truppen eingenommen und der Tempel zerstört. Ein Teil der Bevölkerung, die Beamten am Königshof samt Familien wurden in babylonische Gefangenschaft verschleppt, im heutigen Irak, wo sie viele Jahre lebten.
Mit welchen Perspektiven? Im Laufe der Zeit arrangierten sie sich mit den Gegebenheiten in der
Fremde. Doch es blieb auch die Sehnsucht nach der Heimat, nach Freilassung, nach Rückkehr.
In dieser Situation sagt Jeremia seinen Volksgenossen das Gotteswort: „Es kommt die Zeit, da will ich
mit ihnen einen neuen Bund schließen.“ Der neue Bund setzt voraus, dass es zurückliegende alte
Bundesschlüsse gibt. Diese sind der Noahbund in Form des Regenbogens und Gottes
Selbstverpflichtung zur Erhaltung allen Lebens auf der Erde. Dann der Bund mit Abraham, in dem es
um Land und Segen und Zukunft geht. Später der Bund am Berg Sinai, als sich die Israeliten ihrerseits verpflichten, Gottes Wort, seine Torah zu hören und zu tun. Und so weiter. Es gibt also Bundesschlüsse, die das Frühere nicht außer Kraft setzen – dies bleibt ja bestehen – , sondern es aktualisieren, bestätigen, erneuern. Die Übersetzung müsste demnach heißen: „Siehe, es kommt die Zeit, da Gott seinen Bund erneuern wird.“ Der neue Bund ist ein erneuerter Bund.
Auf diese Unterscheidung lege ich Wert. Denn würde Gott von Zeit zu Zeit einen neuen Bund schließen, was wäre dann mit seiner Treue zum ersten Bund? Wir müssten wohl an ihm (ver)zweifeln, wenn der einmal geschlossene Bund austauschbar wäre.
Also: Der neue Bund in Jeremia 31 hat keinen anderen Inhalt als der alte, es geht um dieselbe Torah. Sie wurde nicht gehalten und wird darum aufs Neue in Kraft gesetzt.
Verändert ist allein die Art und Weise, wie der Bund sich zeigt: „Gott spricht: Ich will mein Gesetz in
ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.“
Wenn die Torah ins Herz, ins Innerste der Menschen geschrieben wird, dann – so die Vision – werden
die Israeliten intuitiv, von innen heraus und wie von selbst das tun, was Gottes Wille ist, verkündigt
Jeremia. Dann werden auch keine Ermahnungen mehr nötig sein, indem einer den anderen belehrt und zurechtweist, was gut und richtig ist. Sondern sie haben ja alle den Gotteswillen in sich drin. Sie wissen es selber, von den Kleinen bis zu den Großen.
Das ist das Neue. Während das Gesetz vom Sinai, die Zehn Gebote, auf steinernen Tafeln geschrieben war, außerhalb der Menschen und als Gegenüber, ist es jetzt in die Menschen eingepflanzt und wirkt von innen her. Aus den steinernen Tafeln werden fleischerne Tafeln, gefüllt „mit Fleisch und Blut“. Das Gotteswort wird mit dem menschlichen Tun identisch.
Das ist der neue Modus, die neue „Qualität“ des erneuerten Bundes.
Neuer Bund – erneuerter Bund: Ich erinnere mich an ein älteres Ehepaar, die mich baten, einen
Dankgottesdienst anlässlich ihrer Goldhochzeit zu halten. Im Vorgespräch war ihnen wichtig, dass sie
sich im Zusammenhang mit der Segenshandlung noch einmal das Jawort geben. „Verstehen Sie uns bitte richtig, Herr Pfarrer“ sagte der Mann. „Damit wird unser erstes Ja von damals natürlich nicht hinfällig. Sondern wir bringen einfach unseren Dank zum Ausdruck, wollen noch einmal unseren Zusammenhalt bestätigen, dass wir nach so vielen Jahren weiterhin aneinander festhalten.“
Die beiden wollten ihren Bund erneuern, vergleichbar mit dem aus Jeremia 31.
„Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben“ überliefert der Prophet. „Sie
sollen mein Volk sein und ich will ihr Gott sein.“ Nächste Woche ist an Pfingsten vom Heiligen Geist
die Rede, der über alle Menschen kommt: Der Geist der Gemeinschaft, der Geist des Friedens und der Verständigung sogar über die sprachlichen Grenzen hinweg.
Wir brauchen Pfingsten! Als Bekräftigung und Bestätigung, dass Gott sich auch an uns Christen und
Christinnen als Mitgesegnete seines Volkes Israel gebunden hat. Heute, am Sonntag Exaudi hören wir die Verheißung des Geistes, der unter uns bleiben möge. Selbst wenn wir von Pfingsten her wissen, dass Gottes Geist schon ausgegossen ist über alle Menschen, gibt es Dinge, die seinem Wirken hartnäckig entgegenstehen. Mit dem erneuten Ausgießen des Geistes hoffen wir, dass Gottes Wort direkt ins Herz dringt, so dass wir es halten und gar nicht anders können als es tun!
Möge sein Geist uns erneuern, „dass jeglicher getreuer den Herrn bekennen kann.“ (EG 136,1)
Das wünsche ich Ihnen und unserer Gemeinde für einen gesegneten Sonntag!
Ihr Andreas Smidt-Schellong
EG 136, 1:
O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein,
verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein.
Gieß aus dein heilig Feuer, rühr Herz und Lippen an,
dass jeglicher getreuer den Herrn bekennen kann.