Fürchtet euch nicht!
Die nächtliche Stunde spielt eine große Rolle im Weihnachtsevangelium des Lukas. In einer Nacht machten Maria und Josef und die Hirten sehr intensive Erfahrungen mit sich selbst aber vor allen Dingen mit Gott. Es handelte sich damals nicht um eine jener romantischen Nächte, welche in viele Gedichten beschrieben wird. Es handelte sich vielmehr um eine durchwachte Nacht; eine Nacht, in der nicht geschlafen wurde, in der man nicht zur Ruhe kam.
Und indem das Evangelium eben von einer solchen Nacht erzählt, erzählt es auch etwas über die Furcht, Sorgen und Verzagtheit. Ich vermute, dass die meisten unter uns solch eine durchwachte Nacht aus eigener Erfahrung kennen. Ich meine damit eine jener Nächte, die nicht enden will. Nicht enden will, weil man sich hin und her wälzt und vor lauter Grübeln nicht einschlafen kann, oder deswegen nicht einschlafen kann, weil Angst und Sorge oder Ärger einem den Schlaf rauben. In der Dunkelheit und der Stille kommt man sich selbst sehr nahe, manchmal regelrecht unerträglich nahe, denn die Nacht legt vieles Unbewältigtes offen, was der Tag so gnädig zudeckte. Eben deswegen fühlen wir uns in diesen dunklen Stunden so ungeborgen in der Welt. Wir sind so fürchterlich allein. In solchen Nächten kommt eine Wahrheit über uns ans Licht. Die Wahrheit, dass wir eben nicht alles, was uns im Leben widerfährt, alleine bewältigen können, nicht mit allem alleine fertig werden.
Im Weihnachtsevangelium wird uns verkündet, dass das nicht so bleiben muss: dieser Zustand des Fürchterlichen. Denn es wird davon berichtet, dass Menschen, die diese quälenden Erfahrung einer durchwachten Nacht machten, auch erlebten, dass eine solche Nacht hell wurde. Und damit ist gemeint, dass das Fürchterliche, was uns nicht schlafen, nicht zur Ruhe kommen lässt, zum Schweigen gebracht wurde. Denn das himmlische Wort „Fürchtet Euch nicht!“ – wurde ja nicht in irgendeine Nacht hinein gesprochen. „Fürchtet euch nicht!“, das sind die ersten gesprochenen Worte im Weihnachtsevangelium. Ein himmlischer Zuspruch. Und mit diesen ersten Worten lässt Gott uns wissen:
„Sei ruhig, mein Kind.
Lass mich die leuchtenden Tränen lindern,
die sich in deinen Augen sammeln.
Sei ruhig, mein Kind.
Ich werde dich nie verlassen.
Ich bleibe bei dir,
überquere mit dir die Brücke der Seufzer.
Sei ruhig, mein Kind.“
Mit diesem ersten gesprochenen Wort in der Heiligen Nacht, macht uns der Evangelist mit dem Gott bekannt, der alles über uns weiß.
Er weiß, was uns quält, uns Sorgen bereitet und ängstigt.
Er kennt jede Ursache für die Unruhe in solchen Nächten.
Und Er will nicht, dass es dabei bleibt!
Wer sich diesem Wort vertrauensvoll öffnen kann,
wer sich also nicht dagegen zur Wehr setzen muss,
dass wir Menschen solche Worte brauchen,
brauchen wie das liebe Brot
der sie also wahrhaftig mit ganzem Herzen hören kann,
der ist zu einem Menschen geworden, der zu Gott gehört.
Und hört sofort auf damit, sich selbst so fürchterlich allein zu fühlen. Und er wird voller Freude erkennen, dass er bereits mit seinem Vertrauen in dieses erste Wort der Heiligen Nacht mit der Güte Gottes in Berührung gekommen ist. Gütig, weil es sich um ein Wort handelt, das nicht beschämt oder bloßstellt. Es ist vielmehr ein Wort, das die ängstliche, verzagte und verletzliche Seite des eigenen Ichs liebevoll in den Blick nimmt.
Es gehört wohl zu dem Wunderbaren göttlichen Tuns, dass Er einen Weg gefunden hat, uns und allen Menschen zu allen Zeiten durch das Zeugnis der Heiligen Schrift immer wieder dieses gütige und beruhigende Wort ins Herz zu sprechen, um uns so in die Freude zu führen, die daraus entsteht, dass unser Heiland geboren ist.
Amen
Ihre Pfarrerin G. Steinmeier