An(ge)dacht zum vorletzten Sonntag des Kirchenjahresam 17. November 2024

Selbstbestimmung oder Fremdbestimmung?

„Ich bestimme!“ rief meine Tochter, als sie ein kleines Kind war, triumphierend in ihrem Zimmer. „Ich bestimme und Du hast mir nichts zu sagen!“

Ja, wer möchte das nicht, über sich ganz und gar bestimmen. Niemand möchte doch sein „Ich“ aufgeben. Jede Fremdherrschaft lehnen wir ab. Wir alle fordern das Selbstbestimmungsrecht für andere und für uns. Wir wollen keinen haben, der uns sagt, was wir zu tun oder zu lassen haben. „Ich bestimme!“

Dem widerspricht aber der Text aus dem Römerbrief (Römer 14,7-13) gründlich. Da steht nichts von Selbstverwirklichung oder Selbstbestimmung. Das ist kein Manifest, dass jede und jeder über sich allein bestimmen darf. Ganz im Gegenteil. „Unser keiner lebt sich selber,“ schreibt der Apostel Paulus. Auch wenn ihr meint, über euch und über euer Leben bestimmen zu können, so ist es nicht. Auch wenn ihr auf die Freiheit als Christenmenschen pocht, so ist es nicht. Ja selbst der Extrempunkt eures Lebens, ja selbst der Tod ist nicht euer Eigen. Auch da könnt ihr euch nicht von eurem Herrn trennen. „Unser keiner lebt sich selber, und keiner stirbt sich selber.“

Jesus Christus möchte unser Herr sein. Er möchte der Herr über alle sein. Christus erhebt einen Anspruch auf unser Leben. Er will Einfluss nehmen auf alle Entscheidungen, auf jedes Handeln.

Und um diesen Anspruch überhaupt zu erheben, hat Jesus Christus etwas getan. Er hat mit ganz Außergewöhnlichem seine Herrschaft begründet. Gott baut seine Herrschaft von unten auf. Jesus begibt sich in die größte Niedrigkeit, um unser Herrscher zu werden. Er wird Knecht, um Herr sein zu können. Christus unterstellt sich den Gesetzen des Lebens und des Todes. Er lebte wie alle Menschen und starb, wie alle Menschen sterben müssen. Das allein gibt vielleicht zwar Trost, aber noch keine Hoffnung. Dieses allein begründet nicht die Herrschaft Jesu, sondern die des Todes.

Aber Jesus Christus blieb nicht im Tod, sondern ist auferweckt worden. Gott hat den Tod überwunden. Jesus ist wieder lebendig geworden. Der Tod hat keine Macht mehr über ihn und wird sie auch nie mehr haben. Jesus geht nicht erneut auf den Tod zu. Sein Leben ist nun unvergänglich.

Darin war Jesus Christus der Erste. Und er hat versprochen, dass wir alle ihm nachfolgen werden, dass er uns zu sich ziehen wird. Er hat versprochen, dass wir durch seine Herrschaft Anteil am ewigen Leben bei Gott haben werden. Das gibt Kraft fürs Leben hier, aber auch fürs Sterben. Das gibt Hoffnung. Das eröffnet neue Möglichkeiten in unserem Leben.

Viele haben das erfahren. Ihnen ist das in ihrem Leben deutlich geworden. Sie haben gespürt, dass Jesus an ihrer Seite ist, sie auf den schweren Wegen begleitet. Sicher, Jesus ist der Herr, aber doch auch der Diener. Sicher, wir werden von ihm getragen, aber er herrscht auch über uns.

Und nun wissen wir, dass dies eine Herrschaft der Liebe ist. Christus, und in ihm Gott, kann nur durch Liebe herrschen und in Liebe handeln. Christus zum Herrn zu haben, heißt also von Christus geliebt zu werden. Christus liebt die Lebenden und die Toten. Christus liebt uns, die Lebenden, und er liebt die Verstorbenen.

Wir glauben, dass wir in der Taufe bereits mit Jesus Christus gestorben und auferstanden sind. Durch ihn ist der Tod für uns nicht mehr die endgültige Macht. Wir wissen, dass wir nicht in dieses Leben zurückkehren werden. Deshalb trauern wir um unsere Verstorbenen. Aber wir glauben, dass der Tod nicht das Letzte für uns Menschen ist. Durch Christi Auferstehung vertrauen wir darauf, dass wir ihm nachfolgen und mit ihm leben werden.

„Denn dazu ist Christus gestorben und wieder lebendig geworden, dass er über Tote und Lebende Herr sei.“ Aber seine Herrschaft ist so ganz anders als alle weltliche Macht. Christi Herrschaft schenkt uns die Möglichkeit, ein freies Leben zu führen. Die Herren dieser Welt, einschließlich des Todes, sind von Jesus erlebt und erlitten worden. Aber gleichzeitig hat er alle besiegt, so dass er der Herr über sie ist.

Meine Tochter wollte damals allein bestimmen. Es war gut und wichtig für ihre Entwicklung, auch wenn sie immer wieder die Grenzen der Selbstbestimmung erfahren musste. Wir brauchen keine Mächtigen oder Herrscher, die für uns bestimmen. Unbevormundet können wir leben. Aber Gott, der unser Herr ist, sind wir mit allem in unserem Leben verantwortlich.

Ich wünsche Ihnen ein selbstbestimmtes Leben unter der Fürsorge Gottes!
Ihr Pfarrer Johannes Beer