Liebe Leserin und lieber Leser!
Der vorgeschlagene Predigttext für diesen Sonntag ist ein bekannter und umstrittener Abschnitt aus dem Römerbrief des Paulus. Thematisch geht es um das Verhältnis von Christen und Christinnen zur Obrigkeit, womit wir alle konfrontiert sind. Dem Abschnitt Römer 13,1-7 stelle ich den Schlussvers aus Kap. 12 voran, in der Übersetzung der Bibel in gerechter Sprache:
Römer 12,21 Lass dich nicht vom Bösen unterkriegen, sondern besiege Böses mit Gutem: 13,1 Jeder Mensch soll sich den Gewalten unterordnen, die an der Macht sind. Denn es gibt keine Macht außer von Gott. Die bestehende ist von Gott eingesetzt. 2 Wer sich gegen die Macht stellt, widersetzt sich deshalb der Anordnung Gottes. Die, die Widerstand leisten, müssen damit rechnen, verurteilt zu werden. 3 Die Herrschenden sind ein Schrecken – nicht für die gute Tat, aber für die böse. Wenn du nicht in Furcht vor der staatlichen Macht leben willst, dann tue das Gute. So wirst du sogar Anerkennung von ihr erhalten. 4 Dienerin Gottes ist sie, dir zum Guten. Wenn du aber Böses tust, fürchte sie! Nicht umsonst trägt sie das Schwert. Denn Dienerin Gottes ist sie, gerechten Zorn richtet sie auf die, die Böses tun. 5 Darum ist es Zwang, sich unterzuordnen, nicht wegen des Zorns, sondern auch wegen der eigenen Urteilskraft. 6 Deshalb leistet ihr ja auch Zwangsabgaben. Diese stehen nämlich im Dienst Gottes. Seid stets darauf bedacht und 7 gebt allen, wozu ihr verpflichtet seid: Wem ihr Abgaben zahlen müsst, zahlt Abgaben. Wem ihr Zoll zahlen müsst, zahlt Zoll. Wen ihr fürchten müsst, fürchtet. Wen ihr achten müsst, achtet.
Seit dem 16. Jh. gibt es eine nützliche Zusammenarbeit zwischen der weltlichen Macht und der Kirche in Deutschland. Dies wurde theologisch als Zwei-Reiche-Lehre formuliert, als weltliches und als geistliches Regiment. Hier wird gefragt, ob und wie sich die beiden Reiche beeinflussen und inwiefern sie als zwei Regierweisen Gottes zu verstehen sind. Die Auseinandersetzung damit löst Paulus aus, der sagt: „Jeder Mensch soll sich den Gewalten unterordnen, die an der Macht sind. Denn es gibt keine Macht außer von Gott. Die bestehende ist von Gott eingesetzt.“ (Vers 1, siehe oben)
Der Apostel fordert seine Briefadressat*innen zur Loyalität gegenüber dem römischen Staat auf. Dessen Aufgabe sieht er „vor allem darin, durch sein Gewaltmonopol die Einzelnen von der individuellen Durchsetzung ihrer Rechte zu entlasten. Eingebunden in die Ordnungen des Staates und auch gebunden durch sie sollen Christinnen und Christen leben. Deswegen sind sie auch zur Zahlung ihrer Steuern verpflichtet“ notiert die Berliner Pfarrerin Kathrin Oxen.
Unser Paulusabschnitt wurde häufig benutzt, um Christen und Christinnen gehorsam zu machen und an ihre Pflicht zur Staatstreue zu ermahnen anstatt weltliche Missstände zu kritisieren. Am liebsten solle sich die Kirche gar nicht in weltliche Angelegenheiten einmischen, folgerten viele daraus. Denn: „Wer sich gegen die Macht stellt, widersetzt sich der Anordnung Gottes. Die, die Widerstand leisten, müssen damit rechnen, verurteilt zu werden.“ (Vers 2, vgl. Vers 5)
Ist demnach immer unbedingter Gehorsam gegenüber der Obrigkeit geboten? Was ist, wenn etwa in einer Diktatur staatliches Handeln gegen Gottes Gebot verstößt? Dürfen die Regierenden machen, was sie wollen, und ihr Handeln dann womöglich als gottgewollt legitimieren? Sind nicht auch sie der Autorität der göttlichen Weisung unterstellt? Was ist mit dem Widerstandsrecht in der Bevölkerung?
In einigen Tagen ist Präsidentschaftswahl in den USA. Selbst wenn der männliche Kandidat einmal seine Hand auf die Bibel legte – medial groß und öffentlichkeitswirksam inszeniert – , darf man wohl bezweifeln, dass seine Haltung zu Gott und zum christlichen Glauben echt ist geschweige denn vom Herzen kommt. Auf die anschließende Frage eines Journalisten, welches denn sein Lieblingsbibelvers sei, sagt er schulterzuckend, für eine Antwort auf diese Frage kenne er die Bibel zu schlecht.
Christen und Obrigkeit, Kirche und Staat – ein gespanntes Verhältnis. Der Kirchenkampf im Nationalsozialismus rang damit. Nachdem der „Arierparagraph“ durch Hitler im April 1933 auch in der Kirche eingeführt wurde, stellte sich das drängende Problem, ob Christinnen und Christen den Anordnungen des Staates, wenn sie der christlichen Ethik widersprechen, Folge leisten müssen.
In der Barmer Theologischen Erklärung (Mai 1934) wurde die Rolle des Staates positiv beschrieben, mit dem Appell an die Regierenden und Regierten zur Wahrnehmung der Verantwortung vor Gott. In dieser Erklärung heißt es, „dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat, in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen. Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an. Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten.“ (BTE,These V)
Als Aufgabe und Herausforderung bleibt allerdings die Umsetzung von Verantwortung in den politischen Verhältnissen. Die oben erwähnte Kathrin Oxen denkt bei der „hinkenden Trennung“ zwischen Kirche und Staat „an einen Dreibeinlauf, immer noch beliebt bei Sportfesten und auf Kindergeburtstagen“ und fährt fort: „Es ist klar, dass Christinnen und Christen mit beiden Beinen in der Welt stehen. Sie könnten sich nur um den Preis einer totalen Weltflucht von den Ansprüchen freimachen, die das Gemeinwesen an sie stellt, in dem sie leben. Und sie erfahren es immer wieder: Im Aneinander-Gebunden-Sein kann man erstaunlich gut vorankommen. Oder langsamer als jeweils allein. Oder fürchterlich straucheln. (…) Es gibt unzweifelhaft leichtere Möglichkeiten voranzukommen als im Dreibeinlauf von Kirche und Staat. Mitläufertum scheidet nach den Erfahrungen des vergangenen 20. Jahrhunderts definitiv aus.“[1]
Um in der heutigen Zeit christliche Verantwortung wahrzunehmen und jedenfalls nicht unkritisch mitzulaufen, möge uns der Leitsatz von Paulus, den ich oben vorangestellt habe, als Maßstab und Orientierung dienen: Lass dich nicht vom Bösen unterkriegen, sondern besiege Böses mit Gutem! (Römer 12,21)
Ich wünsche Ihnen alles Gute, mit Gottes Segen!
Andreas Smidt-Schellong
Wochenlied für den 23. Sonntag nach Trinitatis: EG 430
1. Gib Frieden, Herr, gib Frieden, die Welt nimmt schlimmen Lauf.
Recht wird durch Macht entschieden, wer lügt, liegt obenauf.
Das Unrecht geht im Schwange, wer stark ist, der gewinnt.
Wir rufen: Herr, wie lange? Hilf uns, die friedlos sind.
2. Gib Frieden, Herr, wir bitten! Die Erde wartet sehr.
Es wird so viel gelitten, die Furcht wächst mehr und mehr.
Die Horizonte grollen, der Glaube spinnt sich ein.
Hilf, wenn wir weichen wollen, und lass uns nicht allein.
3. Gib Frieden, Herr, wir bitten! Du selbst bist, was uns fehlt.
Du hast für uns gelitten, hast unsern Streit erwählt,
damit wir leben könnten, in Ängsten und doch frei,
und jedem Freude gönnten, wie feind er uns auch sei.
4. Gib Frieden, Herr, gib Frieden: Denn trotzig und verzagt
hat sich das Herz geschieden von dem, was Liebe sagt!
Gib Mut zum Händereichen, zur Rede, die nicht lügt,
und mach aus uns ein Zeichen dafür, dass Friede siegt.
[1]Pfarrerin Kathrin Oxen in: Göttinger Predigtmeditationen 3.2024, Seite 482 f.