„Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig“ 2. Mose 33,19
Liebe Leserin und lieber Leser,
Epiphanias heißt Erscheinung. Die biblischen Texte für diese Epiphaniaswochen handeln demnach von den Erscheinungsweisen, wie sich Jesus Christus und wie sich Gott in der Welt offenbaren.
Der alttestamentliche Text für diesen 2. Sonntag nach Epiphanias aus dem 2. Buch Mose 33 erzählt, dass Mose Gott sehen möchte. Zur Stärkung, als Trost, als „Gottesbeweis“ möchte er ihn von Angesicht zu Angesicht schauen, um die vielen Widerstände bei seiner schweren Aufgabe zu bewältigen, das Volk Israel ins Gelobte Land zu führen. Es läuft auf den Dualismus hinaus, dass kein Mensch Gott sehen kann. Höchstens indirekt an seinem Wirken und Handeln.
17 Gott sprach zu Mose: »Du hast Gnade bei mir gefunden, und ich kenne dich mit Namen.« 18 Mose bat: »Lass mich deine Herrlichkeit sehen!« 19 Da sagte Gott: »Ich will all meine Güte an dir vorüberziehen lassen und den Namen des Herrn vor dir ausrufen: ›Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und mit wem ich Erbarmen habe, mit dem habe ich Erbarmen.‹« 20 Weiter sagte Gott: »Du kannst mein Angesicht nicht sehen. Denn kein Mensch kann mich sehen und am Leben bleiben.«
21 Und Gott fügte hinzu: »Schau dort, da ist ein Platz in meiner Nähe. Stell dich da auf den Felsen! 22 Wenn dann meine Herrlichkeit vorüberzieht, will ich dich in den Felsspalt stellen. Solange ich vorüberziehe, werde ich meine Hand über dich halten. 23 Danach werde ich meine Hand wegziehen, und du kannst hinter mir hersehen. Aber mein Angesicht kann man nicht sehen.« (Basisbibel)
Gott ist nahe. Gott ist da. Dessen vergewissern wir uns in jedem Gottesdienst, der mit den Worten eröffnet wird: ‚Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes‘. Wir beginnen im Vertrauen: Gott ist hier, er ist mitten unter uns. Dessen vergewissern wir uns auch in den Liedern und durch die Gebete: Gott ist hier. – Das gilt schließlich auch für den Alltag. Jeder und jede von uns könnte Beispiele nennen, wo Gott sich nahe gezeigt hat.
Auch Mose macht die Erfahrung von Gottes Nähe und seiner Bewahrung. Zuerst die Befreiung aus Ägypten, dann der Zug durch das Schilfmeer und durch die Wüste – das waren bedrohliche Stationen, die sie dank der Zuwendung Gottes heil überstehen. Auch fortan sind Durststrecken zu überwinden, in denen Gott ihnen beisteht.
Doch Mose kennt auch Zeiten, in denen es nicht selbstverständlich ist, dass Gott hier ist. Die Zweifel werden stärker als die Gewissheit. Da sind der Hunger, die mühsame Wüstenwanderung und die Sorge, was morgen passiert, wenn die Israeliten im neuen Land wohnen: Ist Gott dann auch noch hier? Gilt sein Versprechen auch für später? – Mose weiß nicht weiter.
Solche Fragen kennen viele aus dem Leben. Bis heute. Nach einem Schicksalsschlag oder in „Wüstenzeiten des Lebens“, wenn jemand zu verdorren droht. Dann kommen solche Fragen und Anklagen um so bohrender: Wo ist Gott? Warum zeigt er sich nicht? Mose ist am Ende seiner Kraft. Seine Zweifel sind völlig nachvollziehbar. Er will Beweise: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen!“ bittet er Gott. Gott antwortet: „Ich will all meine Güte vor deinem Angesicht vorüberziehen lassen.“ Beim Vorüberziehen seiner Herrlichkeit stellt er Mose in eine sichere Felsspalte. Er hält schützend seine Hand über ihn. Und schließlich sieht Mose ihn … von hinten. Gott geht also auf Moses Anliegen ein und erfüllt ihm seinen Wunsch: Er zeigt sich. Mose sieht ihn … und sieht ihn zugleich doch nicht. Oder wenigstens nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Er sieht ihn von hinten, indirekt. Gott von hinten sehen, nachdem er schon vorübergezogen ist. So hatten die Israeliten es vorher bereits in der Wüste erlebt: Gott zeigte sich ihnen von hinten. Sie schauten ihm hinterher. Tagsüber ging Gott ihnen in einer Wolkensäule und bei Nacht in einer Feuersäule voran. Daran orientierten sie sich.
Doch der Marsch durch die Einöde ist lang und beschwerlich. Die Israeliten sind überfordert mit ihrer Sorge um das Überleben und von den Strapazen der Entbehrungen. Das macht sie mürbe und verdrossen. Außerdem zehrt es an den Kräften, einem Gott nachzulaufen, der einen zu unbekannten Zielen führt und sein Gesicht im Verborgenen hält. Was fehlt, ist eine klare Zukunftsperspektive. Aus plausiblen Gründen verschaffen sie sich Luft, indem sie sich ein goldenes Kalb herstellen und es in ihrer Mitte verehren: Sichtbar, eindeutig und zum Anfassen – so muss Gott sein, finden sie.
Doch nicht lange danach zeigt sich, wie das goldene Kalb sich als unheilvoller Selbstbetrug erweist, weil es ihre ungestillte Sehnsucht nach erfülltem Leben nicht zu befriedigen vermag. In ihrer Not merken die Israeliten, dass es ihr Ende bedeuten würde, wenn sie sich allein auf sich selber verlassen. Das goldene Kalb treibt einen Keil zwischen sie und Gott. Dessen Pläne mit seinem Volk sind in Frage gestellt. Gott weiß, dass die Menschen auf diesem Weg in den sicheren Tod laufen würden. Darum zeigt er sich erneut und lässt sie nicht fallen. Bei der Begegnung mit Mose sagt er zu ihm: ›Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig, und mit wem ich Erbarmen habe, mit dem habe ich Erbarmen. Noch einmal: Mose möchte Gott sehen … und sieht ihn von hinten. So geht es vielen Menschen: Wer Gott sehen will, hat damit meistens das Nachsehen.
Doch dann erlebt Mose die Überraschung durch Gottes schützende Hand. Er lebt! Gott war da! Beides, die Felsenhöhle und die beschützende Hand, hat ihm das Leben gerettet. Beim Hinterher-Schauen erkennt Mose, dass Gott ihm beigestanden und er einen Schutzraum bei ihm gefunden hat. Das ist das Schwere und bisweilen Frustrierende am Glauben: Dass wir Gott oft erst im Rückblick wahrnehmen. Dass wir zuerst das Nachsehen mit ihm haben und sein Eingreifen erst später bemerken.
Der Glaube mutet uns einiges zu. Er mutet uns zu durchzuhalten, wenn man meint es nicht zu schaffen. Er fordert uns heraus, selbst dann einen Sinn im Leben, in Gott und der Welt zu sehen, wenn man schon schwarz sieht. Er verlangt uns ab, viele unbeantwortete Fragen auszuhalten und dennoch auf Gottes Segen und sein Wirken zu vertrauen. Eine beliebtes Lied aus dem Kindergottesdienst beschreibt die Gewissheit von Gottes Nähe so:
Wo ich gehe, wo ich stehe, ist der liebe Gott bei mir. Wenn ich ihn auch niemals sehe, weiß ich dennoch: Gott ist hier. (EG 654)
Wer sich darauf einlässt, Gottes Spuren in seinem Leben zu entdecken, dem mag es helfen immer wieder klein anzufangen. Wie in dem Kinderlied.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag mit Gott an Ihrer Seite!
Ihr Andreas Smidt-Schellong
Lied EG 648:
1. Wir haben Gottes Spuren festgestellt auf unsern Menschenstraßen, Liebe und Wärme in der kalten Welt, Hoffnung, die wir fast vergaßen. Zeichen und Wunder sahen wir geschehn in längst vergang‘nen Tagen, Gott wird auch unsre Wege gehn, uns durch das Leben tragen.
2. Blühende Bäume haben wir gesehn, wo niemand sie vermutet, Sklaven die durch das Wasser gehn, das die Herren überflutet. Zeichen und Wunder sahen wir geschehn in längst vergang‘nen Tagen, Gott wird auch unsre Wege gehen, uns durch das Leben tragen.