Liebe Leserin und lieber Leser!
Schreibt jemand von Ihnen noch Briefe? So richtig mit der Hand, wie früher? Das ist heutzutage selten geworden. Manch eine*r hat noch einen Karton oder einen anderen Aufbewahrungsort zu Hause mit Briefen, die zu Herzen gehen. Die beim noch-einmal-Lesen wie ein kleiner, besonderer Schatz sind, eine Erinnerungshilfe an vergangene Zeit.
Der alttestamentliche Text für diesen Sonntag ist ein besonderer Brief, geschrieben von Jeremia an seine Landsleute im Exil.1
Dies sind die Worte des Briefes, den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren, an die Priester und Propheten und an das ganze Volk, das Nebukadnezar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte. (…) 4
So spricht der Herr Zebaoth, der Gott Israels, zu allen Weggeführten:5
Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte; 6 nehmt euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter, nehmt für eure Söhne Frauen und gebt eure Töchter Männern, dass sie Söhne und Töchter gebären; mehrt euch dort, dass ihr nicht weniger werdet. 7
Suchet der Stadt Bestes, dahin ich euch habe wegführen lassen, und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s euch auch wohl.10 Denn so spricht der Herr: Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. 11 Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. 12 Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören.13 Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, 14 so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr. (aus Jeremia 29)
Zur zeitlichen Einordnung blicken wir kurz zurück auf die Situation, als der Brief entstand: Im Jahr 597 v. Chr. erobert der babylonische Herrscher Nebukadnezar Jerusalem. Die Stadt wird geplündert und zerstört. Wir ahnen, wie viel Gewalt und menschliches Leid das bedeutete. Denken wir nur an die Städte, die heute unter militärischer Eroberung leiden in der Ukraine, im Nahen Osten, in den vielen Krisenherden der Welt.
Nebukadnezar muss ein taktisch kluger Politiker gewesen sein. Nach der Eroberung zwang er die
Oberschicht der Israeliten nach Babylon zu gehen. Sein Gedanke: Die übrige jüdische Bevölkerung ist weit weg. So schnell ist der Wiederaufbau Jerusalems und des Staates Juda nicht möglich. So bald muss er keine neue bedrohliche Macht gegen sich befürchten. In Babylon sitzen die Weggeführten fest, während Jeremia mit den restlichen Israeliten im zerstörten Jerusalem bleibt, von wo aus er seinen Brief schreibt.
Die Verbannten sehnen sich nach der Heimat. Eine Zukunftsperspektive sehen sie nicht. Sie werden sich gefragt haben: Wie konnte Gott das zulassen? Warum wir? Wo war Gott, als die Katastrophe passierte? In dieser Situation fordert Jeremia sie auf sich mit den Gegebenheiten in der Fremde zu arrangieren: Baut Häuser, pflanzt Gärten, gründet Familien und mehrt euch dort. Suchet der Stadt Bestes … und betet für sie zum Herrn; denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch euch wohl.
Mit seinem Brief tröstet Jeremia seine Landsleute im Exil: Auch im Unglück seid ihr nicht von Gott
verlassen! Gott begleitet Menschen in der unerlösten Welt, auch durch Katastrophen hindurch. Auch wenn er für die Leidenden ein verborgener Gott ist – er hat Gedanken des Friedens und nicht des Leids.
Es gibt Zukunft und Hoffnung!
Diese Hoffnung formuliert Johannes in seiner Offenbarung am Schluss des Neuen Testamentes so: In Gottes Zukunft werden am Ende alle Tränen abgewischt. Not, Leid, Geschrei und sogar der Tod werden ein Ende haben! (Offb 21) Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen, spricht Gott.
Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag,
Andreas Smidt-Schellong