An(ge)dacht zum Volkstrauertag am 13.11.2022

Glocken zu Granaten oder Schwerter zu Pflugscharen?

Wenn ich unsere Herforder Glocken höre, denke ich manchmal darüber nach, zu wie vielen Anlässen und Ereignissen gerade die älteren Glocken wohl schon geläutet haben.

Neben ihren liturgischen Bestimmungen haben die Glocken früher unter anderem als Signal zur Warnung der Bevölkerung gedient, wenn feindliche Truppen sich der Stadt näherten. So dürften sie vor vierhundert Jahren im Dreißigjährigen Krieg so manches Mal erklungen sein. Aber sicher haben sie auch ins große Friedensgeläut eingestimmt, als die Friedensreiter den Frieden im Land verkündeten.

Und dann? Haben unsere Glocken etwa, für uns heute unverständlicherweise, in die Kriegsbegeisterung 1914 eingestimmt?

Es hätte gut eines ihrer letzten Geläute sein können, denn im Ersten Weltkrieg wurden Glocken konfisziert und aus deren Material Granaten gegossen. Hier wurden keine Schwerter zu Pflugscharen gemacht, sondern umgekehrt. Hier wurden aus Instrumenten der Glaubensverkündigung totbringende Waffen. Im Ersten Weltkrieg wurden auf staatlichen Befehl etwa 65.000 Kirchenglocken als Waffenmaterial zur Verfügung gestellt.

Oder haben unsere Glocken immer wieder neu bei jeder Todesnachricht von der Front ihr mahnendes Totengeläut angestimmt? Sie hätten viel, sehr viel zu tun gehabt. Der Erste Weltkrieg forderte unter den Soldaten etwa zehn Millionen Todesopfer. Die Anzahl der zivilen Opfer wird auf weitere sieben Millionen geschätzt.

„Nie wieder Krieg!“ war dann die feste Überzeugung vieler. Es kann doch nicht sein, dass wegen machtpolitischer Bestrebungen Millionen von Menschen sterben und wiederum Millionen verwundet werden und grausam gezeichnet sind. Der Krieg ist kein legitimes Mittel der Politik.

Die Vision des Propheten Micha drückte diese Sehnsucht aus (Micha 4,3b): „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“

Aber die Realität sah und sieht anders aus. Es kam der Zweite Weltkrieg. Und wieder wurden Glocken eingeschmolzen und zu Granaten verarbeitet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs mit seinen 65 Millionen Opfern, darunter fast 60 % Zivilisten, war kaum noch eine Glocke da, die den Frieden einläuten und verkünden konnte. Und wieder setzten sich etliche dafür ein, dass es nie wieder Krieg geben dürfe. Die vielen Opfer von Gewaltherrschaft und Krieg, um die wir trauern, sollten Mahnung sein.

Zur Zeit werden circa zwanzig Kriege oder kriegerische Auseinandersetzungen geführt. Und mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist der Krieg nach Europa zurück- und uns sehr nahe gekommen. Die Kriegsflüchtlinge leben mit all ihrer Traumatisierung mitten unter uns. Und keine und keiner weiß, was aus diesem Krieg mit seiner sinnlosen Zerstörung noch alles werden kann.

Dabei wissen wir Christinnen und Christen aller Nationen und Konfessionen doch um Jesu Aufforderung, uns für Frieden einzusetzen und die Liebe in die Welt zu tragen. Wir wissen, dass wir unseren Nächsten, ja auch unsere Feinde, lieben sollen. Und wir kennen die Vision des Micha: „Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Es wird kein Volk wider das andere das Schwert erheben, und sie werden hinfort nicht mehr lernen, Krieg zu führen.“ Warum leben wir nicht danach?

Darauf hinzuarbeiten ist unser Auftrag. Das sollen wir im Namen Jesu Christi leben, denn alle Opfer von Gewaltherrschaften und Kriegen, all die, um die wir an diesem Tag trauern, sind uns Mahnung!

Die Glocken rufen immer wieder uns zum Gebet – auch und gerade für den Frieden. Sie mahnen uns täglich, den Frieden Gottes in der Welt zu leben und in die Welt zu tragen.

Ich wünsche Ihnen inneren und äußeren Frieden unter dem Segen Gottes!
Ihr Pfarrer Johannes Beer

(Bild: Kalandsglocke der Herforder Münsterkirche, die älteste Glocke Herfords, gegossen um 1200. Foto: Johannes Beer)